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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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haben sich schon anno vierundzwanzig nicht lange gehalten. Da hatte sich eine alte Säuferin eben zu Tode gesoffen, so sahen das die Leute. Niemand hat Wengler beschuldigt.«
    »Das heißt, niemand hat Maria Cofalka ernst genommen …«
    »Nein. Ich und ein paar Freunde haben sie dann nach Hause gebracht, weil wir fürchteten, sie würde sich sonst unmöglich machen und eventuell sogar ihre Stelle aufs Spiel setzen. Sie hat ihren Rausch ausgeschlafen und am nächsten Tag kein Wort mehr über diesen Zwischenfall verloren. Vielleicht hat sie sich überhaupt nicht mehr daran erinnert, sie war ziemlich betrunken.«
    »Vielleicht hatte sie sich auch Mut angetrunken, um dem großen Wengler so etwas an den Kopf werfen zu können.«
    »Vielleicht.«
    Rath zuckte die Achseln. »Ich glaube, bevor sie sich überwinden konnte, mir die Briefe anzuvertrauen, hat sie sich auch Mut antrinken müssen.«
    »Unser mutiges Mädchen«, sagte Rammoser und trank. Dann wandte der Lehrer sein Gesicht ab, und Rath sagte erst einmal nichts mehr.
    84
    D u packst nur das ein, was du wirklich brauchst, den Rest wirst du in den Ofen werfen. Du willst nur einen kleinen Koffer mit auf die Reise nehmen, keinen Ballast. Das Tubocurarin besorgst du dir drüben. Wenn sie Medikamente in deinem Koffer finden, könnten sie dir Ärger machen.
    Sobotkas Steckbrief fällt dir in die Hände, und du weißt nicht, ob du ihn in den Koffer werfen sollst oder in den Ofen. Ein Zeitungsausriss, der nun auch schon begonnen hat zu vergilben.
    Entlaufener Sträfling.
Franz Sobotka, 32   Jahre alt, gebürtig aus Altschöneberg bei Allenstein, verurteilt zu zwanzig Jahren Zuchthaus wegen bewaffneten Raubüberfalls auf mindestens fünfzehn ländliche Sparkassen und Raiffeisenbanken in den Regierungsbezirken Allenstein und Königsberg, wird von der Polizei gesucht. Sobotka, entlaufen bei Straßenbauarbeiten östlich von Wartenburg, ist seit dem 5.   August 1930 flüchtig.
    Die diesen Zeilen folgende Personenbeschreibung war gar nicht mal schlecht, und dennoch sollte der Fahndungsaufruf keinen Erfolg haben.
    Du erinnerst dich an den Tag, als du Sobotka kennengelernt hast. Ein Mann, der nie den Lebensmut verlor, der es schaffte, sogar in dir so etwas wie neue Hoffnung zu wecken.
    Auch wenn Hoffnung vielleicht das falsche Wort ist.
    Aber mit Sobotka hast du zum ersten Mal seit Jahren wieder gelacht. Hast gelacht, obwohl du gedacht hattest, das Lachen ein für alle Mal verlernt zu haben. In Sobotka hast du zum ersten Mal seit Jahren wieder so etwas wie einen Freund gefunden. Nachdem du all die Jahre geglaubt hattest, jeder Mensch sei verdammt zu absoluter Einsamkeit und alles andere nur eine Illusion.
    Vielleicht war Sobotkas Freundschaft auch eine Illusion, aber du hast gelacht über seine Witze; und wenn er dich aufzog und hernach anlachte mit seinen blendend weißen riesigen Zähnen, dann warst du ihm niemals böse, weil du wusstest, dass es nicht böse gemeint war. Du hast wieder die Wärme gespürt, die nur eine Freundschaft bieten kann, und es war dir gleich, ob diese Wärme auf einer Illusion beruhte oder nicht.
    Ja, er hat dir das Leben wieder erträglich gemacht, aber seine Ausbruchspläne, die er von Anfang an hegt und die er von Anfang an mit dir geteilt hat, hast du niemals gutgeheißen. Du wolltest nicht raus aus diesen Mauern, die dir eine ganz eigene Art von Geborgenheit gaben, du hättest ja nicht einmal gewusst, was du in der Welt dort draußen noch machen solltest. Was du da draußen überhaupt zu suchen hattest.
    Doch dann kam dieser Tag im Frühsommer, und danach wurde alles anders. Alles.
    Es war der erste Besuch überhaupt, den du in Wartenburg bekommen hast. Wenn man von deinem Pflichtverteidiger absieht, der dich beim Prozess damals vor dem Landgericht Lyck nicht eigentlich verteidigt, sondern nur auf ein mildes Urteil hingearbeitet und dich zu diesem Zweck zu einem Geständnis hat drängen wollen. Natürlich hast du dich nicht drängen lassen. Du hast geschwiegen. Es war offensichtlich, dass der Staatsanwalt ganz im Banne der Brüder Wengler stand und ihrer gekauften Zeugen. Sie wollten dich als Mörder hinter Gittern sehen, sie wollten an einem vermeintlichen Polenfreund ein Exempel statuieren. Dafür hatte der Wachtmeister sogar falsch ausgesagt. Dass du die Schlägerei begonnen hättest gegen die drei von der Brennerei. Dass er dich deswegen eingesperrt hätte. Dass er dich nach einer Stunde wieder freigelassen hätte.
    Doch das stimmte nicht.

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