Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
herunterhängt, kann nichts passieren, die Waggons sind hoch genug, ich muss mich nur ducken.« Sein Grinsen. »Die Preußische Ostbahn hält Ordnung, da hängt nichts unter dem Zug, was da nicht hängen soll, keine Metallteile, nichts, da fällt keine Schraube ab.«
Du weißt noch, dass du ihm geglaubt hast. Was hättest du auch tun sollen? Du hast dich neben ihn gelegt, bäuchlings wie er, nur die Schiene zwischen euch, und über der Schiene die Kette, die eure Fußfesseln zusammenhielt.
Als du dich hinlegtest, konntest du die Schiene vibrieren hören.
Sobotka sagte nichts, er legte seine Hände schützend über den Hinterkopf. Du wolltest es ihm nachmachen, doch dann hast du dir nur die Ohren zugehalten, um das lauter werdende Vibrieren, in das sich immer mehr ein Rattern mischte, nicht hören zu müssen, doch es half nichts.
Und dann kam der Zug.
85
C harly wurde immer saurer, je länger das Gespräch mit Gennat dauerte. Gestern hatte der Buddha sie schon in die Mangel genommen, aber heute ließ er erst recht nicht locker. Seit sie ihm erzählt hatte, dass sie gestern Abend mit Gereon Rath telefoniert hatte.
»Sie wissen, was das heißt? Sie decken einen Mann, der zur Fahndung ausgeschrieben wurde.«
»Ich decke überhaupt niemanden. Ich weiß nicht, wo Gereon Rath ist. Meinen Sie etwa, mir gegenüber wäre er offener?«
»Meines Wissens sind Sie miteinander verlobt, da ist man in der Regel etwas offener als Kollegen gegenüber. Und Sie hat er schließlich auch angerufen, niemanden sonst.«
»Er hat im Präsidium angerufen!« Charly zündete sich vor Wut eine Zigarette an. »Und ich war zufällig noch da, also habe ich abgenommen.«
»Haben aber niemandem Bescheid gesagt.«
»Das war gestern gegen acht, halb neun. Ich habe Sie gleich heute Morgen informiert. Größere Eile schien mir nicht vonnöten.«
Dass ihr Dettmann dazwischengekommen war und sie froh gewesen war, das Präsidium ohne weitere Belästigungen verlassen zu können, sagte sie dem Buddha nicht.
»Wir hätten der Fahndung einen Hinweis geben können«, sagte Gennat, »Sie wissen doch, welche Rolle der Faktor Zeit in unserer Arbeit spielt.«
»Welchen Hinweis? Wo Kommissar Rath mir ohnehin nicht gesagt hat, wo er sich aufhält?«
»Hat er das wirklich nicht?«
»Ich habe, kaum war die Verbindung unterbrochen, in seinem Treuburger Hotel angerufen. Gereon Rath ist dort gestern Mittag abgereist. Er hat von einem Bahnhof aus angerufen.«
»Dann ist er also noch in Ostpreußen.«
»Oder bereits im Korridor. Er wollte zurück nach Berlin, so viel hat er mir gesagt.«
Sie sagte Gennat nicht, dass Gereon erst morgen früh kommen wollte. Vielleicht hätte sich dieser ganze Spuk bis dahin ja aufgeklärt.
»Wenigstens wissen wir, dass er noch lebt«, sagte sie und drückte ihre Zigarette so fest in den Aschenbecher, als wolle sie ein Loch in das Porzellan brennen. Selten zuvor hatte sie sich mehr darüber geärgert, von Gennat ausgefragt zu werden. Dabei rührte ihre Wut weniger von Gennats Hartnäckigkeit her als von der Tatsache, dass sie sich gerade gezwungen sah, ihren Chef anzulügen. Den Buddha, den sie mehr verehrte als alle anderen Männer, für die sie jemals gearbeitet hatte.
Gennat schlug wieder einen versöhnlicheren Ton an. »Wenglers Geschäftsführer wird umgebracht«, sagte er, »Kommissar Rath gerät unter Verdacht, und einen Tag später ruft er an und will uns erzählen, Gustav Wengler sei ein Mörder. Kann das ein Zufall sein?«
Charly zuckte die Achseln. Sie war müde, sie war es leid, diese Fragen über sich ergehen zu lassen.
»Glauben Sie ihm die Geschichte?«, fragte Gennat, »Wengler ein Mörder?«
»Er kann es noch nicht beweisen, das hat er selbst gesagt.« Charly schaute Gennat so zuversichtlich an, wie sie konnte. »Aber ich glaube ihm.«
Sie fragte sich, ob der Buddha ihr das abnahm, denn so sicher, wie sie hatte klingen wollen, war sie sich da nicht.
»Und wer ist hinter Wengler her? Wer ist dieser ominöse Racheengel?«
»Wir werden sehen«, sagte Charly, »wenn Gereon sagt, das findet er noch heraus, dann wird er auch alles daransetzen, es herauszufinden.«
»Genau das fürchte ich auch«, sagte Gennat.
Seine Sekretärin klopfte an und öffnete die Tür.
»Entschuldigen Sie, Herr Kriminalrat«, sagte Trudchen Steiner, »da ist Kommissaranwärter Lange. Er sagt, er muss Sie dringend sprechen.«
»Soll reinkommen«, grummelte der Buddha, und kurz darauf stand Andreas Lange in Gennats Büro, den Hut
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