Die Akte
schlafen Sie nicht?« fragte er.
»Ich nehme Tabletten, damit ich schlafen kann, und jetzt bin ich völlig aus dem Rhythmus. Ich habe tagsüber geschlafen und bin in den Nächten herumgewandert.« Es war offensichtlich, dass sie hellwach war und reden wollte.
Gray setzte sich aufs Bett und versuchte, sich zu entspannen. »Ich kann mir vorstellen, was für ein Schock das für Sie gewesen sein muss.«
»Es dauert mehrere Tage, bis man es begriffen hat. Zuerst ist der Schmerz grauenhaft. Einfach grauenhaft. Ich konnte kein Glied bewegen, ohne dass es wehtat. Ich konnte einfach nicht denken, weil es so ein Schock war und ich es nicht glauben konnte. Irgendwie habe ich die Beisetzung überstanden, und jetzt kommt sie mir vor wie ein böser Traum. Langweilt Sie das?«
»Durchaus nicht.«
»Ich muss von diesen Tabletten loskommen. Ich schlafe so viel, dass ich überhaupt nicht dazu komme, mit erwachsenen Menschen zu reden. Und außerdem hält mein Vater alle Leute von mir fern. Nehmen Sie das auf?«
»Nein. Ich höre Ihnen nur zu.«
»Heute vor einer Woche wurde er umgebracht. Ich dachte, er arbeitete bis in die Nacht hinein, was nicht ungewöhnlich war. Sie haben ihn erschossen und seine Brieftasche mitgenommen, deshalb konnte die Polizei ihn nicht identifizieren. Ich erfuhr aus den Spätnachrichten, dass in der Innenstadt ein junger Anwalt ermordet worden war, und ich wusste, dass es Curtis war. Fragen Sie mich nicht, woher sie wussten, dass er Anwalt war, obwohl sie seinen Namen nicht kannten. Es war merkwürdig, eines dieser unheimlichen kleinen Dinge, die bei einem Mord passieren.«
»Weshalb arbeitete er noch so spät?«
»Er arbeitete achtzig Stunden in der Woche, manchmal noch mehr. White and Blazevich ist eine Tretmühle. Sie versuchen sieben Jahre lang, die angestellten Anwälte umzubringen, und wenn es ihnen dann nicht ge lungen ist, machen sie sie zu Partnern. Curtis hasste die Firma. Er hatte es satt, Anwalt zu sein.«
»Wie lange war er dort?«
»Fünf Jahre. Er verdiente neunzigtausend im Jahr, also nahm er die Schufterei in Kauf.«
»Wissen Sie, dass er mich angerufen hat?«
»Nein. Mein Vater teilte mir mit, dass Sie das gesagt hätten, und ich habe den ganzen Abend darüber nachgedacht. Was hat er gesagt?«
»Seinen Namen hat er mir nie genannt. Er gebrauchte den Namen Garcia. Fragen Sie mich nicht, wie ich herausbekommen habe, wer er in Wirklichkeit war - das würde Stunden dauern. Er sagte, er wüsste möglicherweise etwas über die Morde an den Richtern Rosenberg und Jensen, und er wollte mir sagen, was er wusste.«
»Sein bester Freund in der Grundschule hieß Randy Garcia.«
»Ich hatte den Eindruck, als hätte er im Büro irgend etwas gesehen und als wüsste vielleicht irgendjemand im Büro, dass er es gesehen hatte. Er war sehr nervös und rief immer von Telefonzellen aus an. Wir hatten uns für frühmorgens am vorletzten Samstag verabredet, aber kurz vorher rief er mich an und sagte die Verabredung ab. Er hatte Angst und sagte, er müsse an seine Familie denken. Haben Sie irgend etwas davon gewusst?«
»Nein. Ich wusste, dass er unter Stress stand, aber das war in den letzten fünf Jahren ständig der Fall. Er hat zu Hause nie über das Büro geredet. Er hasste den Laden.«
»Warum hasste er ihn?«
»Er arbeitete für einen Haufen Halsabschneider, einen Haufen Ganoven, die seelenruhig zusahen, wie jemand für einen Dollar verblutete. Sie geben tonnenweise Geld aus für die Fassade der Respektabilität, aber sie sind Abschaum. Curtis war ein Spitzenstudent und konnte sich aussuchen, für wen er arbeiten wollte. Sie waren prächtige Kerle, als sie ihn einstellten, und absolute Ungeheuer, wenn man mit ihnen arbeiten musste. Absolut unmoralisch.«
»Und weshalb ist er dann bei der Firma geblieben?«
»Das Gehalt wurde immer besser. Vor einem Jahr wäre er beinahe gegangen, aber aus dem anderen Job wurde nichts. Er war sehr unglücklich, aber er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Ich glaube, er fühlte sich schuldig, weil er einen solchen Fehler gemacht hatte. Wir hatten eine Art kleine Routine. Wenn er heimkam, fragte ich ihn, wie sein Tag verlaufen wäre. Manchmal war das zehn Uhr abends; dann wusste ich, dass es ein schlimmer Tag gewesen war. Aber er sagte immer, der Tag wäre einträglich gewesen, das war das Wort, einträglich. Und dann sprachen wir über unser Kind. Er wollte nicht über das Büro reden, und ich wollte nichts davon hören.«
Nun ja, so viel über
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