Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Frage der Zeit. In deinem Alter hätte ich das auch nicht hören wollen …«
»Was ist zwischen dir und Michelle geschehen?«
»Wenn du deine Magistra fragst, dann wird sie dir gewiss sagen, es sei mein Befehl auf der Brücke über die Bresna gewesen, der unsere Liebe zerstörte. Du hast sicher schon von dieser Geschichte gehört … Ich glaube, in Wahrheit hat es schon früher begonnen. Am Anfang ist man bereit, dem Menschen, den man liebt, alles nachzusehen. Vergeben ist so leicht … Genauso leicht, wie jene Dinge zu übersehen, die man nicht wahrhaben mag. Aber wehe, wenn der Zauber der ersten Liebe verfliegt … Ich stehe noch heute zu dem Befehl, den ich damals gegeben habe. Er war folgerichtig und der Lage angemessen. Ich habe mich damals nicht von einem Augenblick zum anderen verändert. Es ist nicht wahr, dass aus dem strahlenden Ritter binnen eines Herzschlags eine seelenlose Bestie wurde. Die Wahrheit ist, dass sie mich in diesem Augenblick zum ersten Mal so gesehen hat, wie ich wirklich bin. Und weil sie sich nicht eingestehen konnte, dass ich diesen Makel immer schon besessen hatte und sie ihn bislang in ihrer Liebe einfach nur übersehen hatte, deshalb hat sie die Geschichte erfunden, dass der Krieg in Drusna mir meine Seele geraubt habe.«
Lucs Stöckchen brach in der harten Erde ab. »Liebst du sie immer noch?«
»Die Weisen sagen, Hass könne nur dort sein, wo die Liebe noch nicht ganz verloschen ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das richtig ist. Von der wilden, bedingungslosen Liebe unseres letzten Sommers als Novizen sind nur ein paar zu
sentimentale Liebesgedichte geblieben. Ihr Wunsch, mich tot zu sehen, bereitet mir jetzt noch Schmerzen. Jeder Herzschlag peinigt mich.«
Ein Geräusch ließ Luc aufblicken. Honoré schnürte sein Wams auf und schob sein Hemd hoch.
Der Junge hatte schon viele schreckliche Wunden gesehen. Aber das … Es stieß ihn ab, und zugleich konnte er den Blick nicht abwenden. »Wie ist es möglich, dass du noch lebst?«, fragte er fassungslos.
»Vielleicht ist es Tjureds Wille? Vielleicht ist es meine Gabe … Oft denke ich, ich lebe noch, weil ich ein Ziel habe. Etwas, das ich unbedingt noch erreichen will. Du magst mich belächeln, aber ich bin davon überzeugt, dass Gott einen jeden von uns mit einer besonderen Aufgabe auf diese Welt schickt. Das hört sich jetzt viel pathetischer an, als ich beabsichtige. Es kann etwas sein, das die Welt nicht verändert. Etwas, das nur für dich von Bedeutung ist. Vielleicht schenkst du an irgendeinem Abend einem Bettler ein einfaches Mahl. Und es sind dieser Abend und diese Gabe, die ihm die Kraft geben, wieder zu sich zu finden, und er wird ein bedeutender Mann, dessen Wirken die Welt vermisst hätte, wenn du dich ihm gegenüber nicht an jenem Abend barmherzig gezeigt hättest. Ich glaube, viele Menschen bemerken nicht einmal, wenn sie die eine große Tat ihres Lebens vollbringen. Ich glaube auch, dass wir nicht die Gefangenen von Gottes Willen sind. Er hat Pläne mit uns. Er gibt uns das Rüstzeug für ein Leben, in dem wir unsere Aufgaben erfüllen können. Und dann lässt er uns frei, denn wir wären weniger als Sklaven, wenn jeder Schritt in unserem Leben vorherbestimmt wäre, wie manche unserer Glaubensbrüder meinen.«
Luc sah den Primarchen verwundert an. Honoré war ihm
ein Buch mit sieben Siegeln. Immer wenn er glaubte, ihn zu kennen, überraschte er ihn aufs Neue. Der Mann, der nun vor ihm kauerte und ihm von seiner Liebe und von der Bestimmung im Leben erzählte, entsprach in keiner Weise dem Bild, das er sich bisher von Honoré gemacht hatte. »Und weißt du, was deine Aufgabe ist?«
Er hob die Brauen und lächelte melancholisch. »Was wissen wir schon, Luc? Ich weiß nicht, welche Pläne Tjured mit mir hat, aber ich habe mir ein Ziel in meinem Leben auserkoren, von dem ich glaube, dass es meine Bestimmung ist. Vielleicht ist es Gottes Plan, dass ich jetzt in diesem Augenblick bei dir bin, um dir ein wenig von deiner Traurigkeit zu nehmen und dir neue Hoffnung zu machen. Ich aber glaube, dass es darüber hinaus meine Berufung ist, Albenmark zu zerstören und unserer Welt endlich den Frieden zu bringen, den sie so sehr braucht.«
Luc war fassungslos. War er verrückt? Wie sollte ein einzelner Mann das schaffen? Und wie wollte er eine Welt zerstören, in die sie nicht einmal den Weg finden konnten? Nie war ein Ordensritter dort gewesen! Nach allem, was sie wussten, holten die Anderen nur manchmal einen Heiden zu
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