Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
glaubwürdig sein! Lilianne lächelte. Ihr Plan war tolldreist. Vielleicht wären
sie morgen alle tot. Auch ihren Kameraden war das klar. So war das nun einmal, wenn man in die Schlacht zog. Sie waren dazu erzogen worden, dieses Risiko willig in Kauf zu nehmen, wenn es um den Orden ging.
Der schwere Regen schluckte das Geräusch ihrer Schritte auf der schwankenden Laufplanke.
»Landgänger!«
Der Warnruf erscholl, noch bevor sie den Landungssteg betreten hatte. Lilianne seufzte. Sie hatte sich der Hoffnung hingegeben, dass die Aufmerksamkeit der Wachen während des Unwetters nachlassen würde. Offenbar dachte sie zu geringschätzig vom Orden des Aschenbaums und ihren Kriegern. Dabei hätte sie es nach dem Aufmarsch am Mittag besser wissen müssen. Es war leichtfertig, seine Pläne auf alte Vorurteile zu gründen. Sie musste sich an den Gedanken gewöhnen, dass der Orden möglicherweise über genauso gut ausgebildete Soldaten verfügte wie die Neue Ritterschaft.
Der Lichtfleck einer Blendlaterne wanderte in ihre Richtung.
Lilianne und die anderen hatten die Laufplanke verlassen und warteten.
»Was tun wir jetzt?«, fragte Drustan.
»Nur ich rede, und es läuft alles weiter wie abgesprochen. « Lilianne spürte, wie eine tiefe innere Ruhe sich ihrer bemächtigte. Sie hatte dieses Gefühl vermisst. Es überkam sie, wenn der Tod, der stete, vage Feind in der Ferne, spürbar nahe rückte.
Der Lichtfleck hatte sie fast erreicht. Aus Schattenrissen wurden Gestalten. Ein junger Ritter, eskortiert von sieben Hellebardenträgern, trat ihr entgegen. Er trug einen Halbharnisch und Stiefel. Eine Hand ruhte auf dem Griff seines Rapiers. Mit der Linken hielt er die Laterne hoch, sodass
sein Gesicht gut zu erkennen war. Er war blass und durchgefroren, die Lippen leicht blau verfärbt, und er wirkte angespannt. Sein nasser Umhang klebte an der Rüstung, weiß, mit feinen Schlammspritzern bedeckt. Wie ein Leichentuch.
»Darf ich das Schiff nicht verlassen?« Lilianne schlug einen leichten Plauderton an, so als gebe es keine Hand am Griff einer Waffe. Sie konnte sehen, wie sich der junge Ritter ein wenig entspannte.
»Es steht dir frei zu gehen, wohin immer du willst, Schwester.« Er räusperte sich. Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht hinab zu ihrer Brust. »Aber ich habe Order, dich nicht mehr auf die Windfänger zu lassen, sobald du von Bord gehst. Das gilt auch für den Kapitän. Wenn ihr jetzt umkehrt, kann ich noch so tun, als hättet ihr nie einen Fuß auf den Landungssteg gesetzt. Bitte …«
»Es ist sehr freundlich, dass du mich warnst. Was ist mit den anderen Männern an Bord und mit Gästen? Ich will offen sein. Wir brauchen die Hilfe von Heilkundigen. Wird es Schwierigkeiten geben?«
Der Ritter ließ die Hand vom Rapier sinken. »Nein. Meine Befehle betreffen nur dich und den Kapitän.« Er trat dicht vor Lilianne. »Nicht alle haben deine Siege vergessen, Schwester.« Seine Stimme war nur ein Flüstern, das im rauschenden Regen fast unterging. »Ich habe unter deinem Kommando in der Schlacht am Bärensee gekämpft. Das war der stolzeste Tag in meinem Leben.«
Lilianne dachte an das leichenbedeckte Ufer. Irgendwie waren es diese Bilder, die sich in der Erinnerung festsetzten, und nicht die der Fahnen schwenkenden Sieger. Sie hatte am Bärensee eine ihrer bedeutendsten Schlachten geschlagen. Fast hätte sie sogar die Königsfamilie des Fjordlands
gefangen genommen. Damit wäre der letzte Heidenkrieg beendet gewesen. Sie wäre dann nicht hier … Und es gäbe keine offene Feindschaft zwischen dem Aschenbaum und dem Blutbaum. Es war müßig, so zu denken. »Wo hast du am See gekämpft?«
»Am linken Flügel. Dort, wo die Langboote am Ufer lagen.«
»Dann hast du gegen die Trolle antreten müssen … Ich erinnere mich an drei Lanzen von Rittern aus deinem Orden. Sie haben keinen Fußbreit Boden aufgegeben und den Bestien standgehalten, bis Verstärkung kam.«
Der junge Ritter strahlte. »Du erinnerst dich daran? Das waren meine Männer!«
»Ja«, sagte Lilianne knapp. Sie wollte nichts mehr hören. Wollte den Mann, den der Ehrgeiz von Kirchenfürsten in zwei Jahren von einem Kameraden zu einem möglichen Feind gemacht hatte, nicht besser kennenlernen. Sie umfasste sein Handgelenk im Kriegergruß. »Ich vermisse die Zeiten, in denen wir Seite an Seite gestanden haben.«
Sie sah in seinen Augen, dass er verstanden hatte. »Ich auch«, antwortete er.
Lilianne ging der Phalanx der Lagerhäuser entgegen. Sie
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