Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
verwandelt. Die Wege lagen voller Blüten, die Regen und Sturm abgerissen hatten. Schießscharten waren aufgebrochen und vergrößert worden. Schmale Spalten waren zu weiten Fenstern geworden, durch die der goldene Schein zahlloser Kerzen fiel.
Der Regen hatte die Luft rein gewaschen. Es war eine angenehm kühle Frühsommernacht. Und jetzt stieg der Duft der gebrochenen Blüten auf. Die Residenz schien ein magischer Ort zu sein, leuchtend und erfüllt vom Odem der Rosen. Doch Lilianne machte sich nichts vor. Sie kannte den Mann, der inmitten dieser verwunschenen Pracht herrschte. Ihr würden nur wenige Augenblicke bleiben, ihn zu überzeugen. Er war niemand, der lange zuhörte. Und ganz gewiss niemand, der sich leichten Herzens gegen die Wünsche der Heptarchen stellte. Dafür hatte der Erzverweser zu viel zu verlieren.
»Ich darf nicht mit euch gehen«, sagte Alvarez überraschend.
»Wie bitte?«, fragte Drustan scharf, während Michelle völlig überrumpelt wirkte.
Lilianne blieb ruhig. Sie hatte es gespürt. »Warum?« Kein Vorwurf lag in ihrer Stimme.
»Ich hatte nicht geglaubt, dass wir es bis hierher schaffen würden«, entgegnete Alvarez. »Wir haben ihnen eine wunderbare Gelegenheit geboten, uns einfach verschwinden zu lassen. Du, Drustan, Michelle und auch ich, wir sind nicht bedeutend. Aber ich bin sicher, dass der Komtur und viele andere dich am liebsten tot sehen würden, Lilianne. Wenn sie dich nicht aufhalten, dann wirst du wieder Truppen ins Feld führen und unserem Orden all den Ruhm zurückgeben, den uns verleumderische Intriganten geraubt haben. Sie wissen das! Ich bin sehr überrascht, dass wir lebend bis hierher gekommen sind.«
Lilianne deutete zu dem prächtigen schmiedeeisernen Tor, hinter dem eine von Laternen und Rosenranken gesäumte Marmortreppe hinauf zum Palastturm des Erzverwesers führte. »Wir sind noch nicht am Ende unseres Weges, Bruder. Auch dort oben kann uns der Tod erwarten.«
»Ich weiß.« Der Kapitän seufzte. »Bis hierher konnte ich mich der Illusion hingeben, dass meine Klinge an eurer Seite euch zusätzlichen Schutz geben würde. Aber von hier an werde ich ein Risiko.«
»Jetzt red nicht endlos um den heißen Brei herum!«, fuhr Michelle ihn an. »Was ist los?«
»Ich kenne Marcel de Lionesse, den Erzverweser. Lange schon. Und er hasst mich. Zweimal habe ich ihn brüskiert. Das hat er mir nicht verziehen. Wenn ich an eurer Seite bin, wird er dich gewiss nicht anhören, Lilianne.«
»Warum?«, fragte sie noch einmal.
»Als junger Priester war er ein Fragender. Er hatte einen Galeerenkapitän der Ketzerei angeklagt, weil er seiner Mannschaft den Wein geschenkt hatte, den sie in einem Heidentempel erbeutet hatten. Ich war Geschützoffizier auf der Galeere. Wir haben ein wildes Fest gefeiert … Das hat Bruder
Marcel nicht gefallen. Er hat mich unter Druck gesetzt, meinen Kapitän zu belasten. Und ich habe mich nicht gefügt. Mein Kapitän verlor zwar sein Kommando, nicht aber sein Leben. Und später, als Marcel schon Hafenkommandant in Cadizza war, habe ich mit meinen Seesoldaten eines seiner Lagerhäuser besetzt und leer geräumt.« Alvarez zuckte mit den Schultern. »Er hatte ein Schreiben unseres Großmeisters einfach ignoriert, in dem er darum gebeten wurde, meine Galeere so schnell wie möglich mit Pulver und Lebensmitteln zu versorgen. Das war während des dritten Krieges gegen die aegilischen Piraten. Wegen solcher Buchhalter wie Marcel sind uns diese Bastarde immer wieder entkommen.«
»Er hält dich also für einen Ketzer und Piraten«, stellte Drustan fest.
Alvarez’ Zähne blitzten im Dunkel, als er lächelte. »Ja. Genauso denken unsere Brüder vom Orden des Aschenbaums. Geht mit mir dort hinein, und ihr habt verloren, bevor Lilianne auch nur ein Wort sagt.«
Die Ritterin konnte nicht fassen, dass er nichts davon erzählt hatte, als sie sich miteinander beraten hatten. Sie war von Alvarez enttäuscht. »Und was willst du jetzt tun? Du weißt ja, dass sie dich nicht auf das Schiff zurücklassen werden.«
Sein Lächeln wurde breiter. Es war jetzt wieder dieses hinreißende Piratenlächeln, das sie früher einmal leicht in Bann geschlagen hatte. »Du glaubst doch nicht, dass ein grüner Jüngling mich in einer so finsteren Nacht wie heute daran hindern kann, auf mein Schiff zurückzukehren? Ganz gleich, ob er am Bärensee ein paar Trollen in den Hintern getreten hat: Um mich aufzuhalten, ist er nicht Manns genug.«
»Ich weiß nicht, was dich
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