Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Erbarmen
aus! Seine Rippen zeichneten sich unter der fahlen Haut ab. In seiner Leiste war ein wulstiger, schwarzer Fleck zu erkennen.
»Los, Bruder Marcel!« Lilianne war an die Seite des Erzverwesers getreten. »Komm näher!« Sie packte ihn beim Arm. »Blick nicht auf ihre Brüste! Erkennst du, was du siehst? Ich schwöre dir bei Gott, heute Morgen waren sie beide noch ohne Makel. Es geht so schnell …«
»Wie … konntest du die beiden in mein Haus bringen?«, stammelte Marcel.
»Du musstest es sehen! Erkennst du es? Komm, tritt näher heran! Du musst sie riechen. Du musst es fühlen!«
Michelle stockte der Atem. Sie war wirklich verrückt! Er durfte nicht näher kommen!
»Nein!«, rief der Erzverweser und riss sich los. »Ich erkenne es! Der Schwarze Tod … Du hast die Pest in meine Stadt gebracht!«
»Du musst mir glauben, ich wusste es nicht!«
Marcel wich vor ihr bis an die Stufen seines Throns zurück. »Wachen!«
Augenblicklich öffnete sich die schwere Flügeltür in ihrem Rücken. Hellebardiere stürmten herein.
»Bitte, Herr! Vergib mir! Ich wusste nicht, dass wir die Pest an Bord haben!«
Die Soldaten blieben wie versteinert stehen.
»Ergreift sie!«, befahl der Erzverweser, doch keiner seiner Männer rührte sich.
»Du weißt, was geschehen wird«, sagte Lilianne. »Diese beiden hier werden morgen um diese Zeit schon von uns gegangen sein. Bruder Louis, der die Ruderer und Seeleute von der Windfänger geholt hat, lebt vielleicht noch drei oder vier Tage. Schon jetzt trägt er den Tod in sich, ohne es
zu wissen. Und seine Männer auch … Alle, die an Bord des Schiffes waren, sind verdammt. Du weißt, der Schwarze Tod lässt sich nicht durch Mauern aufhalten.«
»Ich werde die Ruderer mit ihrem Quartier verbrennen lassen!«
»Und der Rauch trägt den Odem der Seuche in deine Stadt«, entgegnete Lilianne. »Alle, die den Kranken nahe waren, müssen fort. Nur so kannst du Marcilla retten. Hast du einmal eine Stadt gesehen, in der die Pest gewesen ist? Ganze Straßenzüge sind menschenleer. Die Totenfeuer verlöschen nicht mehr. Ihr Rauch hängt wie ein schwarzes Leichentuch über der Stadt. Wenn du Glück hast, stirbt nur jeder zweite. Und in einem Mond ist es vorbei. Kein Krieg kostet so viele Leben wie die Pest.«
Marcel öffnete eine kleine Truhe, die neben der Treppe zum Thron stand. Er holte zwei Pistolen heraus. Die Läufe der Waffen glänzten silbern. Ihre Griffe waren mit Intarsien aus Perlmut geschmückt. Sie waren schön wie alles in diesem Saal.
Der Erzverweser richtete die Waffe auf Lilianne. Seine Hand zitterte. »Wie konntest du die Pest in mein Haus tragen!«
»Vergieße mein Blut, und du wirst hier Feuer legen müssen, um die Pest auszutreiben.«
»Was hast du getan?«, schrie er außer sich vor Zorn.
»Ich bringe sie alle fort von hier! Du gebietest über den Komtur des Ordens vom Aschenbaum. Du kannst seine Befehle aufheben. Lass mich meine Männer holen. Ich bringe sie an Bord. Die Windfänger verlässt die Stadt. In einer Stunde schon können wir auf hoher See sein. Und schließe die Tore deines Palastes. Setze alle gefangen, die mit meinen Männern Umgang hatten. Du musst die Krankheit einsperren,
hörst du. Vermauere die Türen und Fenster. Und lass sie erst nach einer Woche wieder aufbrechen. Dann wird der Tod seine Beute geholt haben. Noch kannst du die Krankheit besiegen. Aber mit jeder Stunde, die du zögerst, wird die Pest Marcilla fester in ihrem Griff halten. Du musstest es sehen, Bruder, damit du nicht denkst, ich sei eine Ketzerin. Eine Intrigantin, deren Sorge es allein ihrem Schiff gilt. Es geht um diese Stadt, Bruder Marcel. Es geht darum, ob die Pest zurückkehren wird nach Fargon.«
Kalter Schweiß stand Michelle auf dem Leib. Sie wusste, dass Tjured sie hasste für ihren Anteil an diesem Trug. Und wenn Gott gerecht war, dann gab es dafür nur eine Strafe.
LEBENDIG BEGRABEN
Louis schlug die Augen auf. Nichts änderte sich. Er war von undurchdringlicher Finsternis umfangen. Der junge Hauptmann der Ordensritter versuchte sich zu erinnern, wo er war. Es roch nach feuchter, lehmiger Erde. Und es war kühl.
Etwas summte. Eine Fliege. Sie landete auf seinem Gesicht. Ärgerlich schlug er mit der Hand nach ihr. Seine Finger streiften etwas Raues. Die Fliege entkam.
Wo war er? Vorsichtig streckte er die Hände vor. Kaum einen Fußbreit über ihm war ein Holzbrett. Es war rau, nicht gut gehobelt. Louis keuchte. Das konnte nicht sein. Er würde sich doch
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