Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Er fragt immerzu nach frischem Fleisch. Das mit dem Bein, das waren wir nicht. Das hat er sich selbst angetan. Niemand kann sagen, ob er so etwas noch einmal tun wird. Fühle dich auf der Schwelle also nicht allzu sicher. Es wäre klüger, nicht zu schlafen.«
»Das ist doch gelogen.«
»Frag ihn, wenn er wieder wach ist, ob er sich das Bein abgebissen hat, um sich den Mann zu schnappen, der ihm Essen in die Zelle gebracht hat. Und sieh dir genau seine Hände an. Wenn er erst einmal über dir ist, dann kannst du schreien, wie du willst, meine Ritter werden nicht schnell genug bei dir sein. Behalte ihn also gut im Auge. Rufe, sobald er sich an seinem Bein zu schaffen macht. Und vor allem, schlafe nicht!«
Leon zog die Tür zu. Jetzt würde sich zeigen, ob der Fuchsmann wirklich ein harter Bursche war.
DIE PRÜFUNG
Luc starrte in die Dunkelheit. Er kauerte an einer Wand, die Arme um die Knie geschlungen, und lauschte. Bald würde er wieder einen Tropfen fallen hören. Das war die einzige Abwechslung in seiner Kerkerzelle. In langen Abständen fielen Wassertropfen von der gewölbten Decke in eine flache Pfütze nahe der Tür. Zwischen zwei Tropfen konnte er bis einhundertsiebenunddreißig zählen. Mittlerweile hatte er auch ohne zu zählen im Gefühl, wann der nächste Tropfen fallen würde. Bald wäre es wieder so weit … Jetzt! Ja.
Luc atmete schwer aus. Er wusste nicht, wie lange er schon in der Kerkerzelle saß. Kein Lichtstrahl fand seinen Weg hierher. Die klamme Kälte war ihm tief in die Knochen gekrochen. Immer wieder klapperten ihm die Zähne. Es gab hier nichts, keine Decke, kein Strohlager, nur feuchten Stein.
Er hatte Leon kurz gesehen, doch der Primarch hatte nicht mit ihm reden wollen. Er würde geprüft werden, das war alles, was Luc wusste. Und es würde um Leben und Tod gehen. Er hatte keine Ahnung, wann oder wo die Prüfung stattfinden würde. Wusste nicht, wie sie aussehen konnte. Sie wollten ihn zermürben. Nein, nicht sie … Leon! Seit der Primach den verdammten leuchtenden Stein bei ihm gefunden hatte, war er von kaltem Zorn erfüllt. Für ihn stand schon fest, dass Luc ein Wechselbalg war. Und er hatte wohl die meiste Erfahrung. Gab es da noch Hoffnung? Leon sah nicht aus wie ein Mann, der sich irrte. Sein Leben war erfüllt von Gewissheit. Und Lucs Leben war nur noch Zweifel.
Der Junge streckte sich. Dann rieb er die Hände aneinander,
bis ihm ein wenig warm wurde. Wie lange war er wohl schon hier? Zweimal hatten sie ihm Essen gebracht. War er also zwei Tage im Kerker? Es kam ihm unendlich viel länger vor.
Einmal hatte Luc einen grässlichen Schrei gehört. Ein Wimmern, das immer lauter wurde und zuletzt in verzweifeltes Wutgebrüll umgeschlagen war. Er war sich sicher, dass diese Laute sich keiner Menschenkehle entrungen hatten. Sie hatten ihn zutiefst geängstigt. Er war ganz still. Vielleicht war es der Troll, dem sie im letzten Jahr begegnet waren. Gishild hatte überhaupt keine Angst vor diesem Ungeheuer gehabt! Anfangs hatte ihn das etwas beschämt. Jetzt war er stolz auf sie. Was wohl aus seinen Löwen werden würde? Ein dicker Kloß stieg ihm in die Kehle. Er hätte es gern erlebt. Sie würden sich jetzt besser schlagen im Buhurt. Ganz bestimmt!
Die Zeit auf der Galeasse hatte sie härter gemacht, geschickter und entschlossener. Sie hatten einen schrecklichen Preis gezahlt. Sie waren nur noch dreizehn. Der erste von ihnen hatte seine ewige Ruhe in ihrem Turm gefunden. Gewiss hatten sie ihn schon beigesetzt. Würde er selbst auch ein Grab im Turm erhalten? Oder würde es sein, als habe es ihn nie gegeben? Würde Leon seinen toten Körper einfach verbrennen oder ins Meer werfen lassen? Alles Andenken an Luc de Lanzac auf immer auslöschen, weil Wechselbälger es nicht verdienten, dass man ihrer gedachte?
Seine Kameraden würden ihn nicht vergessen, dachte Luc. In der Nacht, bevor die Windfänger Marcilla angelaufen hatte, hatten sie sich heimlich in der Geschützkammer versammelt. Sie wussten, welche Schmach sie erwartete, wenn sie nach Valloncour zurückkehrten. Alle Novizen erhielten nach ihrem ersten Jahr einen Wappenschild. Diese
Wappen erzählten ihre Geschichte. Da es nach einem Jahr nicht viel zu erzählen gab, würde es ein weißer Schild sein, auf dem sich die kahle rote Eiche auf der Herzseite und das Symbol der Lanze, der sie angehörten, auf der Schwertseite gegenüberstanden. Bei ihnen würde dort der rote Löwe prangen. Die Drachen würden eine schwarze Kette im
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