Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
gewölbten Decke gab es ein rundes Fenster. Klares, helles Licht stieß in breiter Bahn hinab. Und dort, wo das Licht den Mosaikboden mit dem Blutbaum berührte, war ein Krankenlager. Ein Mann mit kurz geschorenem Haar und grauen Bartstoppeln ruhte dort. Sein Gesicht war angespannt. Falten zogen tiefe Furchen in die alte, sonnengegerbte Haut.
Ein Lederetui mit stahlblitzenden Klingen, Zangen, Sonden und anderen Geräten lag am Fußende des Betts.
»Dies ist Bruder Frederic«, erklärte Leon. »Du musst entschuldigen, wenn er dich nicht grüßt. Wir haben ihm Schlafmohn gegeben, denn er darf nicht sehen, was in dieser Kammer geschehen wird.« Diesmal war es Honoré, der sprach. Der Mann, der Luc in Lanzac auf den Scheiterhaufen hatte stellen wollen und der später in dem Ehrengericht nach dem verhängnisvollen Buhurt so entschieden für ihn eingetreten war.
Luc wusste nicht, was er von Honoré halten sollte. Der Ritter stützte sich schwer auf einen Gehstock. Er lächelte ihn an. War er wirklich ein Freund?
»Bruder Frederic hatte einen Unfall. Er gehört zu den Gevierten und ist ein sehr begabter Zimmermann. Gestern stürzte ein Baugerüst ein. Er hätte sich retten können, doch statt sich in Sicherheit zu bringen, hat er zwei Novizen geholfen. Sie sind ungeschoren davongekommen.«
Honoré trat an das Krankenlager. Seine Schritte wurden vom Klicken seines Gehstocks begleitet. Mit einem Ruck zog der Ritter die untere Hälfte der Decke zur Seite.
Luc zog sich bei dem Anblick der Magen zusammen. Ein spitzer, gesplitterter Knochen ragte aus Frederics Schienbein. Rings um den Bruch war die Haut dunkel verfärbt. »Ich hoffe, du kannst ihm helfen, Luc. Dies ist deine Prüfung. Heile dieses Bein! Wenn es dir nicht gelingt, dann werden wir es abnehmen müssen.«
Luc leckte sich nervös über die Lippen. Nie hatte er eine solche Wunde behandelt.
»Ich werde dir helfen«, sagte Honoré. »Zunächst müssen wir das Bein richten.«
Die Tür öffnete sich. Die übrigen Ritterbrüder verließen die Kammer. Alle bis auf Leon. Er zog sein Schwert, eine wunderschöne Klinge. Ein unregelmäßiges, blauschwarzes
Flammenmuster lief über den Stahl. Es war eine alte Waffe, viel breiter und schwerer als die Rapiere, mit denen man inzwischen focht. Eine Waffe, dazu geschaffen, die Feinde der Kirche zu zerschmettern.
»Knie neben dem Lager nieder!«, befahl Leon.
Luc gehorchte. Er konnte hören, wie der Primarch hinter ihn trat. Leon hob das Schwert. Luc sah dessen Schatten auf der weißen Decke des Krankenlagers. Und plötzlich hörte er ein seltsames Geräusch. Es schien geradewegs aus der Wand zu kommen. Wie mahlende Steine hörte es sich an und doch irgendwie anders. Es jagte Luc einen Schauer über den Rücken. Wieder blickte er auf den Schatten des Schwertes.
»Beachte den Lärm nicht und auch nicht das Richtschwert«, sagte Honoré leise und eindringlich. »Was geschehen wird, liegt allein in Gottes Hand. Tu dein Bestes. Hilf Bruder Frederic! Alles Übrige liegt nicht in deiner Hand, mein junger Freund.«
Luc sah Honoré an. Meinte er es aufrichtig? Luc vermochte nicht in dem schmalen, asketischen Gesicht des Ritters zu lesen. Honoré wirkte ausgezehrt, ohne schwach zu erscheinen, als werde er langsam von einem inneren Feuer verzehrt.
»Komm jetzt, Luc. Fangen wir an. Halt Frederic mit aller Kraft fest. Ich werde den Bruch richten.«
Selbst im Schlaf stöhnte der alte Ritter auf, als Honoré an dessen Bein zog. Luc drückte ihn fest auf das Lager nieder. Frederics Wunde hatte wieder zu bluten begonnen. Wie eine langsam sich öffnende Rosenblüte breitete sich ein roter Fleck auf dem schneeweißen Laken aus.
Luc beugte sich über das Bein. Er tastete über die Wunde und schloss die Augen. Wenn er nicht hinsah und sich allein seinen Händen anvertraute, konnte er die Verletzungen
besser erspüren. Er verstand sie. Wusste, wie der Schaden beschaffen war.
Jetzt spürte Luc zerrissenes Muskelfleisch. Eine verletzte, kleinere Ader. Einen Knochensplitter, der noch im geschundenen Fleisch steckte.
Luc öffnete die Augen. Er nahm eine Pinzette aus dem Lederetui. Er wusste, wie er sie ansetzen musste, ohne noch mehr von dem gequälten Fleisch zu zerreißen. Ein Augenblick nur, und er bekam den Knochensplitter zu fassen. Vorsichtig zog er ihn aus der Wunde.
Obwohl er so behutsam vorging, wie er es nur vermochte, stöhnte der schlafende Ritter vor Schmerz.
Ängstlich sah der Junge nach dem Schatten des Schwertes. Es war
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