Die Albertis: Roman (German Edition)
Schritt des Zusammenziehens musste aus ihrer Sicht doch zwangsläufig der nächste große Schritt folgen. Sie empfand sich als eine bürgerliche Frau, sie war der Typ für geordnete Verhältnisse, sie wollte bis ans Ende ihres Lebens mit Paul zusammenbleiben. Eine Heirat gehörte für sie dazu. Dass er nicht weiter darauf einging, verletzte Anne. Dachte er am Ende vielleicht ganz anders darüber? Zu gerne hätte sie ihn jetzt gefragt, aber eher biss sie sich auf die Zunge, als ihrem Wunsch nachzugeben und ihn zu bedrängen und schließlich nur eine Antwort zu erhalten, die sie nicht hören wollte.
Gerade erst vor zwei Tagen hatte sie mit Ebba am Telefon darüber gesprochen und mit ihr diskutiert, wie wichtig Ehrlichkeit in einer Beziehung sei. Ebba vertrat die These, dass man für den anderen immer ein Stück Geheimnis bleiben müsse, um für ihn attraktiv zu sein. Anne hatte vehement dagegengehalten und behauptet, dass Offenheit die wichtigste Säule einer Partnerschaft sei. Ebba, in ihrer unnachahmlich direkten Art, erklärte sie mal wieder für bekloppt: «Denk doch mal nach, was du da sagst! Ist dir klar, dass der Mensch nur zehn Prozent seiner geistigen Kapazität nutzt? Ich hab das Gefühl, bei dir ist es eventuell noch weniger!»
Nachdem Paul sein Glas geleert hatte, schlug er vor, schlafen zu gehen.
«Wie soll man denn schlafen bei diesem Krach?»
«Miteinander!», erwiderte er mit breitem Grinsen.
Am nächsten Morgen war es Paul, der als Erster aufstand. Selbst Frau Merk, die sonst, wie Anne behauptetete, unter seniler Bettflucht litt, war noch nicht in der Küche. Er kochte eine Kanne Tee. Die Küche sah verwüstet aus. Gut, dass sie so früh zu Bett gegangen waren und sich auf ihre Weise vergnügt hatten. Paul fühlte sich herrlich an diesem Morgen, er streckte sich. Sah aus dem Fenster zum Himmel. Er war wolkenfrei. Schwalben jagten durch die Luft wie kleine Düsenjäger, denen man einen Frack übergezogen hatte. Es würde ein schöner Tag werden, vielleicht sogar der erste warme Tag dieses Frühsommers.
Paul räumte ein wenig auf, goss sich in seine große englische Kakaotasse den dampfenden Tee, nippte aber nur daran, weil er ihm noch zu heiß war. Dann holte er die beiden Tageszeitungen herein, die jeden morgen frisch geliefert vor der Haustür lagen. Mit baumelnden Beinen setzte er sich auf den Tisch.
Gähnend tauchte Pavel in der Küche auf. «Morgen!», murmelte er. «Scheiße, hab ich einen Kopf. Weißt du, was man dagegen tun kann?»
«Weniger trinken.»
Pavel holte sich aus dem Kühlschrank eine Tüte H-Milch, setzte sie sich an den Mund und trank in großen, gierigen Schlucken. Er war bereits geduscht und angezogen. Um halb acht musste er spätestens im Betrieb sein. Doch mit dem neuen Wagen ging es schneller als mit der Eisenbahn, er sah auf die Uhr. Kein Grund zur Hektik! Aus der Obstschale nahm er sich einen Apfel, biss kräftig hinein und ging.
«Tschüs!», rief er. «Ihr kommt klar mit allem, oder?» «Willst du nichts frühstücken?»
Pavel steckte seinen Kopf durch die Tür: «Du bist ja wie Mama.»
«Soll ich ihr was sagen, wann bist du zurück?»
«Kann spät werden. Ich besuch nach Feierabend noch einen Freund.» Mit diesen Worten verließ er das Haus.
Es wurde für alle ein rastloser Tag, jeder ging seiner Arbeit nach und erledigte seine Aufgaben, und auch am Abend wurde es nicht ruhiger. Paul hatte Dienst. Das hieß, selbst nachdem die Praxis von Juliane, die gegen halb acht das Haus verließ, abgeschlossen worden war, musste er seinen Patienten zur Verfügung stehen. Anne hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass dann rund um die Uhr das Telefon klingelte und die Haustürglocke schellte, sie nahm dann sogar Anrufe entgegen, wenn Paul unterwegs war, um Hausbesuche zu machen. Über ein Funkgerät, das in seinem Auto installiert war, konnte sie ihn überall erreichen, ihm Fragen und Informationen übermitteln und dorthin schicken, wo seine Hilfe gerade benötigt wurde. Weil Frau Merk nach der turbulenten Geburtstagsfeier für den Abend freigenommen hatte, schmierte Anne für die Kinder Brote, deckte den Tisch und kümmerte sich nach dem Essen um das Abräumen und den Abwasch. Zwischendurch telefonierte sie mit Ebba, der es wieder besser zu gehen schien. Dann half sie Laura bei den Hausaufgaben, was ihr schwer fiel, denn sie hatte das Gefühl, wenn es um Mathematik ging, war Laura dreimal so schlau wie sie. Danach brachte sie Luis zu Bett. Anuschka wollte früh
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