Die Albertis: Roman (German Edition)
wollen, selbst Anuschka, die langsam wieder am Familienleben teilnahm, besonders nachdem Paul sich einen ganzen Tag für sie Zeit genommen hatte, mit ihr spazieren gegangen war, geredet, das Grab von Stivi aufgesucht, ihr Mut gemacht und ihr seine Liebe gezeigt hatte.
Für Anne war es das erste Mal, seitdem sie bei Paul wohnte, dass sie mit ihm andere Leute besuchte. Das Ehepaar Lissmann bewohnte einen Sechziger-Jahre-Bungalow mit flachem Dach, viel Holz und Glas und einem schönen, gepflegten Garten. Er war ein Mann Mitte fünfzig, klein und eitel, mit einer in der Sonne glänzenden Glatze und einem weißen Königspudel, der im bei jedem Schritt um die Füße herumstolzierte. Herr Lissmann betrieb einen Großhandel und importierte Geflügel aus Polen, Straußfleisch aus Australien und Lamm aus Neuseeland. Seine Frau war halb so alt wie er, und sie sah aus, als wäre die Zeit stehen geblieben und sie befände sich am falschen Ort – mit ihren engen, knöchelkurzen Hosen, den tigerbedruckten Holzsandaletten, einem tief dekolletierten T-Shirt, auf dem rosa Blüten wucherten, ihren aufgepuschelten blonden Haaren und dem puppig geschminkten Gesicht erweckte sie den Eindruck, als käme sie direkt aus St. Tropez, aus einer Zeit, als die Brigitte Bardots dieser Welt sich dort tummelten. Alles in ihrem Haus, auf der Terrasse, selbst im Garten, wirkte auf seltsam fremde Weise kitschig, süß, pudrig. Es gab eine Hollywoodschaukel, kleine weiße, verschnörkelte Eisenstühlchen, Statuen, nicht aus Marmor, sondern aus Zement, nicht antik, sondern nachgemacht, irgendwo in Asien. Überall drehten sich Windräder, überall waren Vogelhäuschen platziert, die aussahen wie Miniaturhäuser auf Stelzen, es gab einen Springbrunnen, der aus drei verschieden großen muschelartigen Schalen bestand, in die sich das Wasser friedlich plätschernd ergoss, und schließlich einen gigantischen gemauerten Grill aus Feldsteinen, auf den der Herr des Hauses besonders stolz war.
Annes Söhne und auch die beiden Mädchen waren begeistert. Frau Lissmann, die eine zu ihrer Erscheinung überhaupt nicht passende, tiefe Stimme hatte und ständig mit einer brennenden Zigarette im Mundwinkel herumlief, fuhr auf, als gelte es, eine Kompanie zu beköstigen. Cola, Limonade, Saft und Wasser, Champagner, der in einem urnenartigen Silberkühler serviert wurde. Dutzende von Saucen und Gewürzen, die sie ihrem Mann, der sich eine Schürze mit der Aufschrift Hier grillt der Chef umgebunden hatte, hinstellte. Ein rosa lackierter Korb mit Früchten, den sie Anuschka überreichte, als sie hörte, dass Pauls Tochter Vegetarierin war und die toten Fische als «ekelhaft» bezeichnete. Chips, Salznüsse, frische Brötchen, Steaks, Würstchen, Koteletts. Die drei Salatköpfe wurden gar nicht benötigt, denn sie hatte zwei Glasschüsseln mit verschiedenen gemischten Salaten zubereitet.
«Wussten Sie, dass wir kommen?», fragte Anne erstaunt.
«Wir sind immer auf Besuch vorbereitet!», antwortete Herr Lissmann und goss zu Luis' Freude eine ganze Flasche Brennspiritus auf die Kohlen, aus denen, als er sie dann anzündete, Flammen von einem halben Meter Höhe aufschlugen.
Wir sind immer auf Besuch vorbereitet: Das Ehepaar strahlte eine große Einsamkeit aus, ihre Geschäftigkeit und Fröhlichkeit wirkte aufgesetzt, und es kam Anne vor, als hätten sie auf der Straße gestanden und nur darauf gewartet, dass jemand vorbeikam, den sie einladen konnten. Sie hatten keine Kinder und behandelten dabei ihren Hund wie einen Menschen, nicht wie ein Tier. Unablässig redeten sie mit ihm, und der Pudel schien sie zu verstehen und auf seine Weise zu antworten. Er legte den Kopf schräg, er wedelte mit dem Schwanz, er bellte kurz und knapp, er machte Männchen, setzte sich auf eines der Eisenstühlchen, erwartungsfroh, wie Edward, Pavel, Luis, Anuschka und Laura.
«Dann wollen wir mal einen kleinen ...», meinte Herr Lissmann. «Gundi, wo sind die Gläser?»
Zur Begrüßung gab es Champagner. Man stieß auf gute Nachbarschaft an, Herr Lissmann schüttelte die Kohle durch, die noch nicht so richtig glühte, Frau Lissmann bot Anne eine Zigarette an, steckte sich erneut eine an und gab ihr und sich Feuer. Dann setzte sie sich auf die Hollywoodschaukel, forderte Anne auf, sich neben sie zu setzen, und fragte sie aus. Ganz unverstellt und geradeheraus wollte sie die ganze Geschichte erfahren. Von Wolf und ihr, von Paul und ihr, von Sybille und ihr. Anne war nicht geübt darin, Fragen
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