Die Albertis: Roman (German Edition)
Kopfende bestand aus unzähligen gedrehten Holzsäulen, die zur Mitte hin aufstiegen und deren Mitte ein geschnitztes Emblem mit einem flammenden Herz bildete. Erstaunlicherweise war es nicht bezogen, über die Matratze hatte Ebba einfach nur ein Kaschmirplaid gelegt. Anne wunderte sich darüber, denn ansonsten war alles in einer Weise vorbereitet, wie sie es sonst nur für ihre Söhne tat. Eine Schale mit Herbstäpfeln stand auf dem Nachttisch, ein Strauß mit Rosen leuchtete in einer Kristallvase auf dem Boden.
«Nicht schlecht!», meinte Anne. «Hier kann man sich wohl fühlen.»
Nachdem die drei wieder nach oben gegangen waren, bot Ebba ihrer Freundin einen Kaffee an, doch Anne lehnte ab und fragte stattdessen nach einer Zigarette.
«Ja, weißt du das denn nicht?», fragte Ebba. «Ich rauche doch nicht mehr!» Sie und Edward wechselten einen schnellen Blick, der Anne nicht entging. Ohnehin hatte sie das Gefühl, dass Veränderungen im Gange waren, von denen sie nichts wusste. Bei nächster Gelegenheit musste sie ihre Freundin in die Zange nehmen. Aber nicht heute. Denn morgen ist wieder ein Tag ...
Im Nachhinein hatte Anne den Eindruck, eigentlich sei alles ein bisschen sehr schnell gegangen, besonders von dem Moment an, wo die Sachen ausgeladen gewesen waren. Ihr kam es vor, als hätten Ebba und Edward sie hinauskomplimentiert. Nicht wirklich. Aber es lag etwas Unruhiges und Flirrendes in Ebbas Augen, und die Stimmung, wie sie da so in der Küche standen und man ihr keinen Platz anbot, hatte etwas vom nervösen Fingertrommeln auf einer harten Unterlage, und unausgesprochen schien es, als läge ein Satz in der Luft wie: «Wann gehst du endlich?»
Und tatsächlich war sie auch nach einer halber Stunde wieder draußen. Ebba plapperte munter mit ihr an der Wohnungstür und sprach davon, dass sie ganz, ganz bald mal wieder bei Da Nando essen gehen und sich das Allerneuste erzählen müssten. Flott öffnete sie die Tür und umarmte ihre Freundin und sagte ihr leise ins Ohr: «Mach dir keine Sorgen. Der ist goldrichtig hier aufgehoben!» Dann kam der Abschied von Edward. Anne war zum Weinen zumute, als er sie drückte.
«Mama!» Er trat einen Schritt zurück und packte sie an den Schultern. «Du fängst jetzt aber nicht an zu heulen, oder?»
«Man wird doch noch mal traurig sein dürfen. Du ziehst
aus, einfach so, und irgendwie auch so hopplahopp.»
«Zehn Kilometer Luftlinie, Mensch!»
«Im Herzen gibt es keine Kilometer», meinte Ebba und lehnte sich lässig gegen die Wand.
«Ach, das hat doch mit Kilometern nichts zu tun!», entgegnete Anne. «Das versteht nur eine Mutter ... du bist der Erste, der aus dem Haus geht, Edward, bald haut auch Pavel ab und dann Anuschka, und irgendwann Luis, und Laura ...»
«Und dann hast du deinen Paul ganz für dich allein. Das wolltest du doch so!»
«Ja, das wollte ich so.» Sie versuchte zu lächeln. «Tschüs, mein Junge.» Sie umfasste sein Gesicht und küsste ihn. «Ruf mich jeden Tag an, hörst du?»
«Jaja.»
«Deine Handy-Rechnung läuft ja sowieso weiter über mein Konto.»
«Ja, Mama!»
«Also, tschüs.»
«Tschüs, Mama.»
«Wiedersehen Darling!»
Dann fiel die Tür ins Schloss.
Auf der Fahrt nach Hause heulte Anne so sehr, dass sie zwischendurch zweimal anhalten musste. Sie war eben eine Kitschjule, auch da hatte Ebba Recht.
Der erste Advent stand vor der Tür, in vier Tagen war es so weit. Seit zwei Wochen war Anne erfüllt davon, einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen: die Adventszeit vorzubereiten. Sie war auf den Dachboden gestiegen und hatte unzählige Kartons mit Weihnachtsschmuck heruntergeschleppt, mit dem sie im Haus dekorieren wollte. Es war erstaunlich, wie viel von diesem Zeug sich im Laufe eines Familienlebens so ansammelte, dachte Anne, als sie die Sachen in der Küche ausbreitete. Unter raschelndem, längst vergilbtem Seidenpapier kamen böhmische Glaskugeln und englische Baumanhänger zutage, ihre Mutter hatte ihr schon vor Jahren einen Teil ihres Besitzes überlassen, da sie ohnehin davon ausging, die Feiertage mit ihrem Mann zumeist bei einer ihrer Töchter zu verbringen. Die schönsten Kindheitserinnerungen waren darunter. Die Kugel aus Gold, die, wenn man sie an einem Band aufhängte und daran zog, O du fröhliche spielte. Die Baumspitze, die noch von ihrer Großmutter stammte, ganz aus zerbrechlichem Glas und mit silbernem Schnee überstäubt. Die Girlande aus künstlichem Tannengrün, die Ebba einmal aus New York
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