Die Albertis: Roman (German Edition)
und Anne war erstaunt über diese persönliche Frage.
«Ach wissen Sie: Die Dinge liegen nun mal, wie sie liegen. Ich treff ja meinen Mann auch ab und zu. Das ist ein Stück unserer Biographie. Das gehört zu uns, bis zum Ende unseres Lebens.» Sie trocknete sich die Hände ab.
«Es tut mir auch Leid, was ich seinerzeit gemacht habe», fuhr Frau Merk fort, «dass ich da immer hin bin zur Frau Johanssen und geschludert habe über Sie.»
«Ach hören Sie auf. Das sind doch alte Kamellen.»
«Und inzwischen sind wir ja ein ganz gutes Team, was?»
»Ja, das sind wir!» Anne schob das Blech mit den Mandelkeksen in den Ofen.
»Fehlt Ihnen nicht doch manchmal was, Frau Alberti?»
«Was meinen Sie?»
«Na ja ...» Frau Merk stellte den Topf beiseite. «Der Edward ist ausgezogen. Bei ihrem Pavel ist es auch bald so weit. Dann wird das Haus leerer und leerer. Die Arbeit hier ...», sie blickte sich in der Küche um, die aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen, «... ist ja eigentlich mein Revier. Ich meinte: eine Aufgabe oder so.»
Seltsam, dachte Anne, dass sie mich darauf jetzt anspricht!
Gerade dieses Thema spukte ihr seit Wochen im Kopf herum. Sie hatte nicht vergessen, dass Ebba ihr immer wieder nahe gelegt hatte, sich eine Arbeit zu suchen. Sie war gerne die Managerin dieses Haushalts, sie war gerne Mutter und gerne die Frau an Pauls Seite. Aber manchmal, besonders seitdem sich alles so gut eingependelt hatte und die schlimmsten Probleme überwunden zu sein schienen, empfand Anne ein seltsames Gefühl der Leere. Bisher hatte sie sich nicht getraut, mit Paul darüber zu reden. Aber vielleicht würde sich bald eine günstige Gelegenheit ergeben, ihm ihren Plan vorzutragen. Denn einen Plan hatte sie längst.
Paul fuhr in diesem Moment gerade vor Ruths Haus vor. Er hatte den kürzesten Weg gewählt, vorbei am Schloss, und war schon nach zehn Minuten am Ziel. Als er ausstieg, merkte er, wie kalt es war. Das Kopfsteinpflaster war glitschig, beinahe wäre er ausgerutscht. Er hielt sich in letzter Sekunde am Stamm der kahlen Linde, die Ruths Anwesen bewachte, fest. Es wird Frost geben, dachte er und sah hoch. Der trübe Himmel geizte mit Licht, in wenigen Stunden würde es schon wieder dunkel sein. Aus dem Schornstein, der aus dem Reetdach von Ruths Haus ragte, stieg tanzend grauer Rauch auf. Paul öffnete die schiefe Gartenpforte und ging seitlich am Haus vorbei zur Scheune hinüber, in der bereits Licht brannte.
«Ruth Johanssen, Alte Möbel» stand auf einem Messingschild, das in die Rotklinker der Außenmauer geschraubt war. Er öffnete die Tür, die aus zwei Teilen bestand, dunkelblau gestrichen und früher einmal das Scheunentor gewesen war, und trat ein. Es roch nach Leim, Farbe und frisch gesägtem Holz. Im staubigen Licht sah er Türme von alten Stühlen, eine Werkbank, kleine und große Tische verschiedenster Epochen, an den Wänden hingen Bilderrahmen, der Boden war übersät von Spänen und Holzstückchen. Mittendrin stand Ruth und trug mit einem dicken Pinsel Beize auf einen grell lackierten Küchenstuhl auf. Mit ihrem langen Filzrock, der groben grünen Bluse und der dunkelblauen Schuhmacherschürze sah sie aus wie ein russisches Mütterchen aus einem Tschechow-Stück.
«Hallo Ruth!», sagte er.
Sie drehte sich um. «Paul! Du bist schon da?» Sie guckte auf die Bahnhofsuhr, die über der Eingangstür hinter Paul an der Wand hing und halb drei anzeigte. «Sybille ist in der Küche. Willst du rübergehen?» Er nickte. «Ich komme später nach!», erklärte sie lapidar und wendete sich wieder ihrer Arbeit zu.
Über den Hof ging er ins Haus. Die Seitentür führte direkt in die Küche, wo Sybille am Herd stand und gerade Teewasser aufsetzte. Sie begrüßten sich kühl.
«Mit Anmeldung?», meinte Sybille und gab aus einer friesischen Dose vier Löffel Tee in eine dicke braune Kanne. «Was ist los?»
«Darf ich mich setzen?»
«Na, wieso nicht?»
Er nahm am Küchentisch Platz, der direkt vor dem hutzeligen Sprossenfenster stand, und sah sich um. Alles hier war hutzelig. Hutzelig und klein. Er hatte schon früher immer das Gefühl gehabt, wenn er zu Besuch gewesen war, er müsse ständig den Kopf einziehen, um sich nicht an Balken und Decken den Kopf zu stoßen. Ihm war Ruths Haus zu winzig, zu beengt, zu verbaut. Andere hätten es gemütlich genannt, Ihn bedrückte dies bäuerlich Pittoreske. Er brauchte Luft und Licht zum Atmen und Leben. Er brauchte Freiheit.
«Es ist so, dass ich mit dir was
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