Die Albertis: Roman (German Edition)
SMS, die seine ... Freundin ... an unseren Sohn schickt. Das ist doch irre, oder?» Sie spülte mit Mundwasser nach.
«Na ja», meinte Paul. «Du hast ihn eben sehr verletzt. Die Wunde mag verheilt sein, aber der Schmerz bleibt. Vielleicht ist das eine Art Rache.»
«Aber wir sind inzwischen doch auf ... auf, wie soll ich sagen? Nice speaking terms. Wir telefonieren ab und zu, er trifft die Jungs regelmäßig, er hat doch auch ein neues Leben angefangen. Warum ... warum sollte er auf Rache sinnen nach der ganzen Zeit? Männer sind doch irgendwie immer kindisch.»
Paul hatte nichts darauf geantwortet, ihr nur einen kurzen Seitenblick zugeworfen, seine Zahnbürste weggestellt und war ins Schlafzimmer gegangen. Als sie ein paar Minuten später zu ihm ins Bett kam und er las, drehte sie sich auf die Seite, starrte in den leeren Kamin, den Frau Merk am Morgen geputzt hatte, und dachte über das Thema Scheidung nach. Sie war in diesem Moment ehrlich zu sich selbst: Mehr noch als die Tatsache, dass Wolf sie über seine Scheidungsabsichten nicht informiert hatte, kränkte sie verletzte Eitelkeit. Ja, sie hatte ihn betrogen, verlassen und sich für Paul entschieden. Aber irgendwie war er immer noch ihr Mann, und dass er ihr jetzt auf diese Weise jenen kleinen Rest von ihm, der ihr noch gehörte, nehmen w0llte, tat ihr weh. Wenn man alles beiseite lässt, Romantik, Sex, Liebe, Freundschaft, Verstehen und Begreifen, dachte sie, wenn man alles Verklärende und Schmückende herunterreißt von einer Beziehung, dann bleibt nur noch das übrig, worum es in Wahrheit wirklich geht unter Menschen: um Macht. Wer hat Macht über wen, wer hat mehr Macht, wer verliert seine Macht. Mann und Frau: Das war der Kampf um die Macht. Und ich bin da keinen Deut anders oder besser. Am meisten aber schmerzte sie, dass Paul dieser Wendung nichts entgegensetzte. Warum hatte er nicht sofort gesagt: «Wunderbar! Dann lasse ich mich auch scheiden. Dann steht uns der Weg offen. Dann können wir auch heiraten.»
Sie drehte sich zu ihm hin: «Liebst du mich noch, Paul?»
Paul klappte sein Buch zu, legte es auf seinen Nachttisch, schaute sie an. Alarmstufe eins, dachte er, und er wusste ganz genau, warum sie das fragte, und er wusste auch ganz genau, dass dies eine der lebensgefährlichen Grundsatzfragen ist, auf die ein Mann einer Frau drei Antworten niemals geben darf: 1. Warum fragst du das? 2. Na ja, Liebe, das ist ein weites Feld. 3. Wen meinst du: mich?
Er schmunzelte über seine Gedanken, zog Anne zu sich heran und flüsterte: «Natürlich liebe ich dich. Sehr sogar!» Und das war die Wahrheit.
Es war einer der berühmten Mittwochnachmittage. Paul hatte frei. Nachdem er in der Praxis seinen Schreibkram erledigt hatte, tauchte er in der Küche auf, um tschüs zu sagen: Um drei Uhr war er mit Sybille verabredet. Er hatte Anne nicht gesagt warum, und sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als danach zu fragen. Eigentlich hatte er überhaupt keine Lust zu gehen. In der Küche herrschte ein geschäftiges Treiben, eine heimelige Atmosphäre, eine vorweihnachtliche Stimmung, wie er sie nur aus Kindertagen noch kannte. Anne und Frau Merk backten Kekse. Es duftete nach Zimt, nach Butter, nach Orangenschale. Der Ofen brummte leise, es war warm, die Scheiben des Küchenfensters waren beschlagen. Neben der Heizung stand eine Porzellanschüssel, in der Hefeteig für den Stollen aufging und über die Frau Merk ein Geschirrtuch gelegt hatte. Mit einer Spritztüte drückte Anne Mandelkekse auf ein Backblech, vorsichtig und gleichmäßig, und ihre Zungenspitze schien ihr beim Ausbalancieren behilflich zu sein. Frau Merk rührte auf dem Herd in einem Kupfertopf Zuckerguss glatt. Als der Ofen ein Klingelsignal von sich gab, schnappte sie sich zwei Topflappen und zog ein Blech mit duftenden Zimtsternen heraus, das sie knallend auf den Tisch stellte.
Paul machte große Augen. «Hmmm!»
«Wolltest du nicht weg?»
«Kann ich irgendwas helfen?»
Anne sah erstaunt auf: «Du und Küchenarbeit?»
«Das ist unser Job!», erklärte Frau Merk und begann, mit einem Pinsel den Zuckerguss auf die Kekse zu streichen. Sie sagte nicht Dschob, sondern Jop, wie Joppe.
Paul nickte. «Dauert nicht lange!»
Als er weg war – Frau Merk warf noch einmal einen prüfenden Blick zur Tür –, hielt sie inne und sah Anne an, die sich am Spülbecken die Hände wusch. «Macht Ihnen das nichts aus, wenn er seine Frau besucht?» Es klang nicht neugierig, sondern eher einfühlsam,
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