Die Albertis: Roman (German Edition)
sich, dachte Anne, solche Mädchen fahren doch mit ihren Eltern immer in solche Gegenden. Ihre Augen waren kajalgeschwärzt. Die Zähne blitzten, als hätten sie den Auftrag, für Colgate Werbung zu machen. Auf ihren vollen Lippen schimmerte die Farbe von Perlmutt. Sie erinnerte Anne an ihre Schwester Ingrid: So hatte sie damals ausgesehen, vor mehr als zwanzig Jahren, als sie, die Ältere, das spießige Bremer Elternhaus in eine Diskothek verwandelt und Feten gegeben hatte, an denen Anne nur in Ausnahmefällen hatte teilnehmen dürfen. Jedes Mal hatte es Krach gegeben mit den Eltern und zwischen Anne und Ingrid. Von Anfang lag zwischen ihnen die Eifersucht. Ingrid: die Neidische, die aus ihrer Sicht Zu-kurz-Gekommene, die sich alles hatte erkämpfen müssen, was Anne nur so zugefallen war. Freunde und Freiheiten, Liebe, Talente, Anerkennung, Glück. Die Feten waren ihre Domäne. Ihr Raum zum Entfalten, in den Anne nicht eindringen durfte, ihr Spaß, von dem Anne nichts abkriegen sollte. Tolle Jungs und Hasch-Kekse und Cola-Rum und Dusty Springfield. I close my eyes and count to ten ... The only man, who could ever teach me, was the son of a preacher man ...
Das Handy klingelte impertinent weiter. «Willst du nicht mal rangehen?», fragte Anne aggressiv.
Das Mädchen kicherte. Blöd wie Ingrid , dachte Anne
«Hallo?», piepste sie in das giftgrüne Gerät. «Ich bin bei Eddie ...»
Eddie. Anne wusste, dass ihr Sohn es hasste, wenn sie ihn so nannte. «Eddie ...» sagte sie, «ich will, dass deine Freunde jetzt gehen.»
Edward sah seine Mutter ungläubig an.
Im Augenwinkel bemerkte Anne, dass ihr Mann sich in sein Arbeitszimmer zurückzog, die Schreibtischlampe anknipste und sich setzte. Schnell ging sie zu ihm.
«Wolf, ich möchte dich bitten ...»
Er gähnte. «Was?»
«Dass du was unternimmst ...»
«Was soll ich unternehmen?» Er streckte sich.
«Willst du arbeiten oder was?»
«Hast du was dagegen, Anne?»
Anne ballte ihre Hand zur Faust und schlug auf den Schreibtisch. «Ich habe etwas dagegen, dass du so tust, als hättest du mit alldem hier ...» Sie zeigte auf das Toben im Flur. «... nichts zu tun. Es ist dein Sohn. Es ist unsere Wohnung. Es ist gleich Mitternacht. Und ich möchte, dass du dich verantwortlich fühlst.»
«Ich weiß nicht, was mit dir los ist.» Er stand auf und schloss die Tür. «Den ganzen Tag geht das schon so. Wir haben doch ...», er wollte sie umarmen, doch sie trat einen Schritt zurück, «... einen herrlichen Ausflug hinter uns. Du hast doch allen Grund, zufrieden zu sein. Nun lass die Kinder doch ...»
Sie hätte ihn in diesem Moment erschlagen können. Er stank nach Wein und Zigaretten. Er war betrunken. Er verstand wie immer kein Wort. Er war nichts ahnend. Er war ein Trottel. Sie wollte keinen Trottel zum Mann. Wütend verließ sie sein Arbeitszimmer. Der erste junge Mann, der ihr unter die Finger kam, wurde von ihr wortlos zur Wohnungstür geschoben. Sie öffnete sie.
«So. Feierabend. Gehen Sie bitte.» Sie schob ein Pärchen, das neben der Garderobe lehnte, hinterher. «Hier ist jetzt: Feierabend!» Das Wort gefiel ihr. Sie klatschte in die Hände. Sie wollte einmal so laut und so resolut sein wie Sybille: «Feierabend!», schrie sie.
Edward kam angestürmt. «Mama! Das geht nicht. Ich habe meine Freunde eingeladen. Sie sind Gäste!»
«Nicht meine.» Das toupierte Handy-Girl kam ihr unter die Augen. «Und Sie bitte auch!», sagte sie kühl und deutete zur Tür.
«Mama, du bist ätzend!»
Pavel wollte seinem Bruder Schützenhilfe leisten: «Mama, nun lass uns doch ...»
«Es war nicht abgesprochen. Fertig. Schluss mit der Party.» Sie packte den herumtanzenden Luis am Schlafittchen.
«Ich denke, du hast morgen eine Mathearbeit? Ab, Zähneputzen!» Luis gehorchte. «Und mach diese ... entsetzliche ... Musik aus ... im Wohnzimmer.» Sie winkte drei junge Männer aus der Wohnung heraus.
«Das ist Pink ! », erklärte Pavel trotzig.
«Ob Pink oder sonst was. Mir vollkommen wurscht, was das für eine Gruppe ist, oder was die spielen. Die können von mir aus Pop oder House, Hip-Hop oder Acid oder Heavy Metal ...», woher weiß ich das alles?, dachte sie nicht ohne Vergnügen, «... oder einfach nur den guten alten Schlager spielen. Aus die Maus. Party vorbei. Ende.» Einige junge Leute hatten gemerkt, was lief, und gingen. «Auf Wiedersehen», rief sie ihnen befriedigt nach.
Das Mädchen, das Edward abgeknutscht hatte, kam und gab ihm einen Abschiedskuss.
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