Die Albertis: Roman (German Edition)
Ideen!»
«Und ich habe Recht. Oder?»
Anne lachte laut auf. Sie nickte heftig. Es stimmte. Wolf war auch so einer.
Ebba goss Anne Wein nach. «Bringen Mütter das ihren Söhnen bei? Wenn sie nicht, wer dann? Väter? Oder ist es ein angeborenes, seit Generationen überliefertes männliches Verhaltensmuster? Warum gewöhnen es Mütter den Söhnen dann nicht ab? Warum verbieten wir Frauen es ihnen nicht, so ... so rücksichtslos, ekelhaft zu sein?»
«Und davon willst du eine CD machen? Du hast einen Vogel, Ebba.»
«Dieses kleine, scharfe Pfeifzischschmatzgeräusch, wenn sie mittels Lufteinziehen Speisereste zwischen den Schneidezähnen beseitigen wollen. Das Stoffknistern, wenn sie sich am Sack kratzen.»
«Ebba, es reicht.»
«Für eine Sechzig-Minuten-CD, ja. Das wird ein Renner, ich sag's dir. Die Frauen werden sich totlachen. Auf jedem Kaffeeklatsch und jeder Tupperparty werden sie es vorspielen. Sie werden erkennen, dass es Gemeinsamkeiten gibt, über die sie vorher nie nachgedacht, geschweige denn zu sprechen gewagt haben. Und sie werden erkennen, dass Emanzipation Unsinn ist. Von solchen Tieren muss man sich nicht mehr emanzipieren.» Sie erhob sich vom Klo. «Wir stehen weit über denen. Selbst wenn wir unter ihnen liegen. Prost, meine Süße.»
In der Dunkelheit hörte Anne, wie Wolf sich zu ihr hindrehte. «Schläfst du schon?», fragte er.
«Nein», antwortete sie.
«Tut mir Leid, Liebling.» Er streckte seine Hand aus und strich ihr über den Unterarm. «Du hast Recht. Ich halte mich zu sehr aus allem raus. Ich überlasse dir zu viel von diesem ganzen Alltagskram. Die Jungs, da denkt man immer, sie seien endlich so weit, aber dann ist eben doch nicht so. Sie brauchen eine starke Hand. Und dann denkt man, die Anne, die macht das schon ... tja.» Er schwieg und schien sich zu überlegen, was er sagen wollte. «Mich macht das traurig, wenn ich das Gefühl habe, du zweifelst daran, dass ich für euch da bin. Immer. Ich bin immer für euch da. Das weißt du doch, oder?»
«Ja, das weiß ich, Wolf.»
«Auf meine Art.»
«Ja klar. Auf deine Art. Lass uns schlafen, es ist spät.»
Er rückte näher. Sie spürte seinen Atem.
«Ich will mit dir schlafen.» Er nahm ihre Hand und küsste sie zärtlich.
Sie zog sie zurück. «Nein.» Sie drehte sich zu ihm, gab ihm einen Kuss auf den Mund. «Ich bin müde.»
«Schade», sagte er.
«Ja, schade.» Sie drehte sich auf die andere Seite.
Ein paar Minuten später hörte sie ihn schnarchen. Anne aber lag wach und grübelte, bis es hell wurde.
KAPITEL 4
Ebba
Zwei Wochen sind eine lange Zeit, wenn man auf einen Telefonanruf wartet. Anne ging es miserabel. Edward redete immer noch nicht mit ihr. Pavel war wie immer gegen alles. Luis hatte nachts in seinem Zimmer in den Terrakottatopf mit der Birkenfeige gepinkelt, und sie war fest entschlossen, endlich mit ihm zu einem Familientherapeuten zu gehen. Dass er seinen geliebten Barbie-Puppen die Haare mit Wolfs Rasierer kurz geschoren und mit Rote-Bete-Saft gefärbt hatte, ließ sie ihm noch durchgehen. Schließlich wollte er Friseur werden. Dass er ihnen aber, wenn es schief ging, die Köpfe abriss und auf Rouladenspieße steckte, kam ihr unheimlich vor. An seine Eigenart, seine Brüder unvermittelt zu treten und zu beißen, hatte sie sich gewöhnt. Aber dass seine Aggressivität so weit ging, dass er sich die Katze ihrer Nachbarin, Frau Wengeloh, geschnappt, sie in einen Wäschepuff gestopft, sich obenauf gesetzt hatte und, als alle das arme Tier suchten, behauptete, er wisse nicht, wo Sika sei, schockierte sie. Wolf nahm es gelassen. Das seltsame Verhalten ihres Jüngsten ordnete er unter «Flegeljahre» ein. Flegeljahre. Auch so ein Wort. Heute sagte man das nicht mehr. Alle Welt war flegelig. Flegel wurden nicht mehr registriert. Man sprach von Pubertät. Luis schien in die Pubertät zu kommen, viel zu früh. Oder war er einfach nur so ein freches, eigenartiges, undurchschaubares Kind, das ihr oft fremd vorkam? Anne kam mit ihm nicht mehr klar. Sie kam mit niemandem mehr klar. Sie hatte nur eins im Kopf: Wann würde endlich, endlich Paul anrufen?
Ein Leichtes wäre es gewesen, die Telefonnummer ihrer Freunde zu wählen und unter irgendeinem Vorwand Sybille zu bitten, ihn an den Apparat zu holen. Doch Anne verbot sich das. Die ganze Geschichte kam ihr im Nachhinein vor wie ein böser Traum. Sie hatte Sex mit ihm gehabt, an einem Sonntagnachmittag, im Wald. Wie irre! Wie albern! Wie unreif! Was sollte groß
Weitere Kostenlose Bücher