Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
Vom Netzwerk:
giftgrünen, tintenblauen und erdbeerroten Boote reparierten oder Netze flickten. Vor den Tabakläden, Kneipen und Cafés saßen Frauen auf rostigen Stühlen und palaverten. Eine Reiseführerin hatte ihren Regenschirm aufgespannt, um einer Gruppe von Senioren, die für einen Tagesausflug von Ischia herübergekommen waren, bis auf die Zähne mit Fotoapparaten und Videokameras bewaffnet, zu signalisieren: Hier geht's lang! Die Alten knipsten und filmten, als könne man, indem man alles festhält für die Ewigkeit, dem Tod ein Schnippchen schlagen. Kinder, so schmutzig wie fröhlich, tobten herum. Oben in der Luft zogen ein paar Seemöwen seelenruhig ihre Bahnen. Irgendwo krakeelte ein Kofferradio. Eine Funicolare surrte den Berg hinauf. An seinem Hang klebten neugierige Häuser, bunt wie die Boote und die Taxis der Insel. Wen hatten sie nicht alles schon ankommen sehen, was hatten sie nicht alles schon erlebt vor ihrer Nase und hinter ihren dicken, kühlenden Wänden.
    «Nachsaison», hatte Paul konstatiert, «die beste Zeit zum Reisen!» Nachdem sie das Tragflächenboot verlassen und ihre Taschen von einem Schiffsjungen in Empfang genommen hatten, gingen sie ein paar Schritte entlang der Quaimauer, bis sie einen unrasierten alten Mann entdeckten, der auf seinem zitronengelben Holzkarren saß, und ein Schild hochhielt: Hotel Villa Brunella. Paul, der gut Italienisch sprach, stellte sich ihm vor, überließ ihm das Gepäck und entschied, dass sie mit der Seilbahn vom Hafen hinauffahren würden, nach Capri.
    Während sie mit dem surrenden Waggon höher und höher stiegen, erklärte Paul Anne die Insel. Anne erfreute sich an seinem Stolz, mit dem er dies und jenes zeigte – «schau!», «sieh», «dort drüben», «da hinten», «später», «heute Abend», «morgen», «seinerzeit», «damals» –, sie hatte Spaß an den Geschichten, sie lauschte mit Vergnügen, denn er war ein wunderbarer Erzähler, sie hörte ihm gerne zu, denn sie liebte alles an ihm, auch seine warme, tiefe Stimme.
    «Das war jetzt Marina Grande – der große Hafen. Im Gegensatz zu Marina Piccola, den zeige ich dir morgen. Du wirst es lieben, Anne, jede Wette. Oben, wo wir gleich ankommen werden, liegt Capri. So heißt eben nicht nur die Insel, sondern auch der Ort, in dem wir wohnen. Im Gegensatz dazu – auf Capri hat alles seine Entsprechung, seinen Gegensatz, das wirst du noch merken – gibt es den anderen Ort, eine Viertelstunde mit dem Auto über eine Bergstraße entfernt von Capri: Anacapri. Mag ich nicht. Wirst du auch nicht mögen.»
    Sie waren auf dem großen, fast quadratischen Platz, der Piazza, angelangt. Drehte man sich um, hatte man eine prächtige Aussicht hinunter auf den Hafen und den Golf von Sorrent. Sah man nach rechts, erblickte man Gassen, verwinkelte Wege, Stufen, Torbögen, bröckelndes Mauerwerk, von dem sich alte, zerrissene Plakate ablösten, und das Ende der Straße, auf der Taxis, Lieferwagen und Vespas brummend, knatternd, hupend und quietschend heraufgefahren kamen und bei all der drangvollen Enge immer noch einen Platz zum Parken ergatterten. Links thronte eine Kirche mit einem kantigen Glockenturm, die den Abschluss einer Zeile von Häusern bildete, die den Platz säumten. Fast alle hatten Balkone. Zu ihren Füßen lagen Hauseingänge mit geschnitzten Holztüren, Modegeschäfte, Schmuckläden, Kioske, Banken, vor allem aber Cafés mit riesigen Markisen und Schirmen, unter denen Korbstühle und Eisentische standen. Die Cafés bildeten das Herz der Piazza. Überall hatten sich Gäste und Inselbewohner ausgebreitet. Elegante Italiener, die hinter dunklen Sonnenbrillengläsern ihre wahren Absichten verbargen, tranken Espresso und beäugten gespielt gelangweilt die Frauen, die schlendernd oder gehetzt vorbeigingen. Liebespaare, die Beine selbstzufrieden weit ausgestreckt, als gehöre ihnen die Welt, hielten Händchen, küssten, guckten, fütterten sich mit Eiscreme. Urlauber lasen Zeitungen, um voller Genuss zu erfahren, welches Grauen daheim passierte oder am anderen Ende der Welt. Kellner mit langen Schürzen schleppten auf Blechtabletts Campari und Cappuccino heran, rückten Stühle zurecht, räumten ab, kassierten, bonierten. Andere hatten die Hände auf dem Rücken verschränkt, standen in den Eingängen, deren Glastüren weit geöffnet waren, und warteten auf einen Wink, einen Ruf, eine Kopfdrehung, ein Lächeln. In der Sinfonie des Dienens beherrschten sie jedes Instrument, jeden Ton. Sie spielten, was man von

Weitere Kostenlose Bücher