Die Albertis: Roman (German Edition)
ihnen verlangte. Arrogant und gleichgültig konnten sie sein, höflich und zuvorkommend. Den einsamen Damen gaben sie den Charmeur und Verwöhner, der auch nach Dienstschluss noch nicht Feierabend hatte. Italienischen Gästen schienen sie Freunde zu sein. Für Touristen waren sie Führer durch das Dickicht der fremdartigen Speisekarte, servierten nimmermüde und beflissen, immer das eine Ziel im Kopf: reiches Trinkgeld.
Anne beobachtete alles voller Faszination. Am liebsten hätte sie sich in die Bar Tiberio gesetzt, von der Paul behauptete, es sei die einzige, «in die man geht». Aber ihr Liebhaber vertröstete sie auf später und führte sie quer über den Platz, durch die Fußgängerzone hindurch, vorbei an den Geschäften und Hotels, bis zu einem gepflasterten Weg, der in den dicht bebauten und üppig bewachsenen Hang geschlagen war, und in dessen Mitte ihr kleines Hotel lag. In Terrassen gebaut, zog es sich zum Meer hinunter, so schmal, dass fast jede Etage nur aus einem oder zwei Zimmern bestand.
Der Wirt begrüßte Anne mit einem vollendeten Handkuss und Paul wie einen guten Bekannten. Er sprach perfekt Deutsch und erinnerte sich daran, dass sein Gast schon dreimal hier gewohnt hatte. Dass Paul sonst mit einer anderen Seniora gereist war, verschwieg er geübt. Anne gab die Vertrautheit des Mannes einen Stich ins Herz. Sofort war ihr klar, dass Paul und Sybille hier ihre Ferien verbracht hatten, und sie erinnerte sich jetzt daran, wie oft die beiden von Capri geschwärmt und sie und Wolf animiert hatten, doch einmal mitzukommen. Als der Wirt, neben dem ein träger Deutscher Schäferhund hertrottete, ihnen das Zimmer mit der Nummer 42 präsentierte, spürte sie einen Moment lang Unbehagen: Sybille war vor ihr hier gewesen, hatte in dem Doppelbett geschlafen, sich im Badezimmer gepflegt, auf der Terrasse gesonnt. Doch sie war alt genug, um zu wissen, dass man nicht nur mit seiner eigenen Vergangenheit, sondern auch mit der seines Partners leben können muss; Eifersucht ist ein destruktives Gefühl, das sich aus Schwäche nährt. Anne aber wollte stark sein und sie wollte vor allem die Kraft und die Stärke, die Energie und Lebensfreude, die Capri wie keine andere italienische Insel ausstrahlt, genießen.
In Windeseile packten sie aus und richteten sie sich ein im Zimmer Nummer 42, dem schönsten des Hauses, wie der Wirt immer wieder betonte. Das Bad, in dem sich Anne die Hände wusch und die Haare frisierte, war groß und kühl. Der Schlafraum verfügte über Antiquitäten und einen Kamin; vom Wohnzimmer gelangte man auf die Terrasse, die, mehr als zwanzig Quadratmeter groß, ein märchenhaftes Panorama bot, auf das Wasser, den Himmel, den gegenüberliegenden Hang mit seinen Villen und Pinien und wilden Blumen und noch immer blühenden Sträuchern.
Sie schliefen miteinander. Danach duschten sie, zogen sich um und schlenderten zur Piazza zurück, wo sie in die Bar Tiberio einkehrten und Paul Bellinis bestellte, eiskalten Prosecco mit Pfirsichmark. Nach ein paar Gläsern wurde es draußen kühl. Paul legte ihr seinen Blazer über die Schultern, und Anne genoss seine Höflichkeit. Auch in diesem Punkt war sie entwöhnt. Paul hielt ihr die Tür auf, wenn sie einen Raum betraten, ließ ihr stets den Vortritt. Er half ihr in den Mantel, erhob sich, wenn sie aufstand oder zu ihm kam. Im Restaurant gab er dem Kellner ihre Wünsche weiter. Er unterbrach sie nicht im Gespräch, es sei denn, sie führten eine hitzige Diskussion, was im Übrigen nicht selten vorkam. Auf wunderbare Weise gab er ihr immer wieder das Gefühl von Wichtigkeit und Ernstgenommenwerden, er respektierte Anne. Seine Höflichkeit war das Ergebnis guter Erziehung, blieb nie in hohlen Ritualen stecken. Form und Inhalt waren für ihn eine untrennbare Verbindung, es war eine Höflichkeit des Herzens, keine des Dünkels und der Äußerlichkeit.
Paul unterhielt sie blendend. Er brachte sie zum Lachen. Unterhaltsame Anekdoten trug er vor, und unwillkürlich musste sie ihn mit Wolf vergleichen. Während ihr Mann seine Geschichten zeichnete und sich dabei immer weiter von ihr entfernte, kam Paul mit seinem Erzählen und Berichten auf sie zu, seine Persönlichkeit und sein Wesen offenbarte sich darin. Er war auf sympathische Weise extrovertiert, Wolf aber war introvertiert. Ebba hätte es langweilig genannt.
Paul erzählte vom Pariser Baron Fersen, der um die Jahrhundertwende 'Capri als Exil gewählt und die legendäre Villa Lysis hatte erbauen lassen, wo
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