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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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er so prächtig wie sündig gelebt und im Jahre 1923 mit fünf Gramm Kokain, in rosa Champagner aufgelöst, seinem dolce far niente ein Ende bereitet hatte.
    Am darauf folgenden Tag, es war schön und mild, als sei es Sommer und nicht Herbst, zeigte Paul Anne diese Villa, die Jahrzehnte leer gestanden hatte und halb verfallen gewesen, nun aber in neuem Besitz zur alten Schönheit wiedererstanden war. Sie durchwanderten die halbe Insel. Überall wurden sie von Pauls Geschichten begleitet. Die Villa des Dichters Malaparte, die einem Schiff glich, unterhalb der Felsen ins Meer gebaut, kalt, abweisend, geheimnisvoll. Kaiser Tiberius' Sommersitz, an den nur noch die Mauern erinnerten, von denen der Herrscher einst als Abendvergnügen hatte Sklaven sich in den Abgrund stürzen lassen. Die Via Krupp, ein schlangengleicher, steiler Weg zum Meer, von dem deutschen Industriellen erbaut, früher geheimer Treffpunkt der Homosexuellen, die hier ihren Vergnügungen nachgingen, in den Stunden der Dämmerung. Das Grand Hotel Quisisana, wo Oscar Wilde nicht speisen durfte, weil sonst sämtliche englischen Gäste, den Saal verlassen hätten, aus Protest über die vermeintliche Unmoral des Dichters. Die Augustus-Gärten, die Villa San Michele des Arztes und Schriftstellers Axel Munthe, die Faraglione- Felsen schließlich, stolz aus dem Mittelmeer aufragend, um die sich nachts glitzernd die winzigen Boote der berühmten Capri-Fischer gruppierten.
    Besonders berührt war Anne von der Geschichte einer Tochter Thomas Manns, die angeblich bei einem Schiffsuntergang vor Capri von einem dieser Fischer gerettet worden war, sich in ihn verliebt und mit ihm bis zu seinem Tod zusammengelebt hatte. Paul zeigte ihr das versteckt gelegene Häuschen, in dem sie, bis ihr Bruder sie im Alter nach Hause, nach Deutschland holte, gelebt hatte. Anne mochte Liebesgeschichten und sie wusste, dass sie im Begriff war, gerade die schönste von allen selbst zu erleben.
    Bald hatten sie ihren Lieblingsweg gefunden, auf dem sie jeden Tag spazieren gingen. Sie waren die Einzigen, die um diese Jahreszeit hier wanderten, nur die Herbstsonne begleitete sie. Natürlich hatte Paul längst einen Spazierstock gefunden. Ab und zu setzten sie sich in den Schatten von Zitronenbäumen und Oleandersträuchern, auf dicke Kissen wilder Kräuter, und Anne schmiegte sich in Pauls Arm, und sie schlossen die Augen, ließen sich von der großen Einsamkeit der Natur liebkosen, schweigend und glücklich.
    Bei einem ihrer Spaziergänge, als Anne gerade fast verblühte Lavendelzweige abbrach, um einen großen, duftenden Strauß von ihnen im Hotelzimmer in eine Vase stellen zu können, fragte Paul sie unvermittelt: «Was bedeutet dir Wolf eigentlich?»
    «Er ist mein Mann!», hatte sie einfach nur geantwortet, «er war immer da.»
    Nachdem sie weitergegangen waren, über schmale, glitschige Stufen, die sie in eine Schlucht führten, hatte sie die Gegenfrage gestellt, und ihre Worte hatten dort unten gehallt, echogleich, und klangen härter, als sie es gemeint hatte.
    «Sybille?», hatte er erwidert. «Wir haben uns arrangiert im Laufe der Zeit. Sie macht ihr Ding und ich meines. Eigentlich führen wir keine richtige Ehe.»
    «Was ist denn das: eine richtige Ehe?»
    «Wir schlafen nicht mehr miteinander.»
    «Wolf und ich auch nicht.»
    «Sie versteht mich nicht.»
    «Denkst du, er versteht mich?»
    «Aber sie fühlt auch nicht mit mir. Das ist etwas anderes.»
    Den ganzen Weg zurück hatten sie darüber diskutiert, wie sehr ein Mensch in sich selbst gefangen sei, und über die Unmöglichkeit, aus der eigenen Haut zu schlüpfen und sich vollkommen in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Anne hatte heftig widersprochen. Sie glaubte fest daran, dass zwei Menschen eins sein konnten. Pauls nüchterne Analyse und seine Zweifel daran hatte sie als Abgesang auf eine gemeinsame Zukunft empfunden. Deprimiert war sie ins Hotel zurückgekehrt. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder gefangen hatte.
    «Ich bin so empfindlich geworden, in der letzten Zeit, Paul. Ich horche so nach, ich taste mich heran, an alles, was du sagst, am liebsten würde ich unsere Gespräche auf ein Tonband aufnehmen und sie mir später vorspielen, um jede Nuance herauszuhören, um meine Angst und meine Zweifel zu verlieren, um ganz sicher sein zu können: dass du es auch ernst meinst und nicht nur aus einer ... Laune heraus eine Affäre mit mir angefangen hast.»
    «Wir brauchen Zeit!», hatte er nur geantwortet.

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