Die Albertis: Roman (German Edition)
sagte Anne. «Weißt du eigentlich, was für ein Leben du führst?»
«Man gewöhnt sich so schnell daran», antwortete Paul, «weiß ich es?»
«Nach solchem Luxus habe ich mich immer gesehnt. Dinge zu tun, zu denen man Lust hat, und nicht solche, die man machen muss. Nicht jeden Pfennig umdrehen müssen ... na ja ... hier redet eine gefrustete Ehefrau und Mutter.»
«Kannst du auch alles haben.»
Der Kellner kam und räumte die Teller ab, fragte, ob sie zufrieden gewesen seien. Paul machte auf Italienisch einen kleinen Scherz, den Anne nicht verstand, der aber den Kellner zum Lachen brachte. Wahrscheinlich würde der, um Paul zu gefallen, über jeden Unsinn lachen, dachte Anne, selbst wenn er das Telefonbuch von Neapel vorlesen würde. Aber der gehört mir! Sie stimmte ins Lachen mit ein und ergriff Pauls Hand, während sie dem Kellner fest in die Augen sah. Er verschwand.
Paul wurde wieder ernst: «Ich sagte: kannst du auch alles haben.»
«Wie meinst du das?»
«Ich will mit dir leben, Anne.»
«Nein. Das geht nicht, Paul. Das ist doch klar!» Sie betupfte sich mit ihrer Serviette die Mundwinkel, als würde es helfen, ihren trockenen Mund zu befeuchten.
«Wieso ist das klar?» Er ließ ihre Hand los.
«Es geht doch nicht nur um mich und um dich, es geht doch auch um Wolf, um Sybille ... und vor allem: die Kinder. Ich kann meinen Söhnen doch nicht den Vater nehmen.»
«Du nimmst ihnen doch nicht den Vater, wenn wir zusammenleben wollen! Er bleibt ihnen doch! So ein Unsinn. Außerdem: Sie bekommen einen Freund dazu: mich!»
Der Kellner brachte den Fisch. Er war in Aluminiumfolie eingewickelt im Ofen gebacken worden und lag jetzt heiß und dampfend in einem Bett von Olivenöl, Kräutern und Tomaten.
«Das musst du dir aus dem Kopf schlagen!», antwortete Anne und begann, ihren Fisch zu filetieren. «Das ist vollkommen unmöglich.» Sie sah noch einmal hoch: «Ausgeschlossen!» Dann begann sie zu essen.
KAPITEL 6
Wolf und Sybille
Vorsichtig öffnete Wolf die Tür zu Luis' Zimmer. Es war Viertel nach elf in der Nacht, und eigentlich sollte sein Sohn längst schlafen. Doch er hatte seinen Vater den Flur entlanggehen hören und nach ihm gerufen.
«Was ist los?», fragte Wolf leise und trat ans Bett. Luis lag in seiner Benjamin-Blümchen-Bettwäsche, aus der er schon seit Jahren herausgewachsen war, auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und starrte zur Zimmerdecke hinauf.
«Ich kann nicht schlafen!»
Von einem Poster an der Wand lächelte freundlich Madonna, die von Rupert Everett umarmt wurde, herunter. Auf dem Nachttisch drehte ein Goldfisch namens Maite in einem Glas friedlich seine Runden. Mütterlich strich Wolf die Decke glatt und setzte sich auf den Rand des Bettes.
«Warum das denn nicht?»
«Weiß nicht.» Er drehte den Kopf zu seinem Vater hin und sah ihn an wie das Leiden Jesu Christi. «Mir ist kalt.»
Es war Winter. Es hatte gefroren. Im Fernsehen war Schnee angekündigt worden. Das Silvesterfest stand bevor. Hektische Weihnachtstage – und der damit verbundene nervige Besuch von Annes Eltern – lagen hinter ihnen, Luis hatte Schulferien. Überall im Zimmer lagen Geschenke verstreut: Inlineskates, ein schreiend gelbes Handy, das Luis gegen den Willen von Anne und Wolf von seinen Großeltern gekriegt hatte, Bücher, Nike -Schuhe, ein ferngesteuerter, roter Jeep, ein bunter Teller mit angebissenen Kringeln, zerknülltem Schokoladenpapier und mit Walnüssen, die Luis hasste wie die Pest.
«Soll ich dir noch eine Wolldecke bringen?»
«Ist Mama schon da?»
Wolf schüttelte den Kopf: «Du weißt doch, dass sie mit Ebba im Kino ist.» Es klang nicht sehr überzeugend, und für Luis war es kein Trost. Er hatte das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, ständig ging seine Mutter abends aus, früher hatte sie das nie getan. Und auch sein Vater wirkte irgendwie bedrückt. Anne schien sich auf unerklärliche Weise verändert zu haben: So aufgekratzt, so unternehmungslustig, so ganz und gar gleichgültig gegenüber den Dingen des Familienalltags war sie sonst nie gewesen. Anne sang. (Sie hatte noch nie gesungen. Sie konnte gar nicht singen.) Anne gab Geld aus. (Sie war nie so geizig gewesen wie Wolf, aber doch gezwungen, mit dem wenigen Haushaltsgeld, das ihnen zur Verfügung stand, auszukommen.) Kürzlich hatte die Sparkasse angerufen und darauf hingewiesen, dass der Dispositionskredit überzogen sei. Zwischen Anne und Wolf war es zu einem Krach über Geld gekommen,
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