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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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quengeliges Kind, das zu Bett soll, es aber nicht will.
    Er war einverstanden. Sie gingen hinaus. Der Kellner kam hinter ihnen her und brachte ihnen die gefüllten Weingläser. Beim Zurückgehen ließ er die Glastür offen und öffnete auch den zweiten Flügel. Dann drehte er die Musik laut. «Caro amico ti scrivo ... », sang Lucio Dalla, ein Lied, das die beiden gut kannten, ja, das sie sogar liebten, seit jenem Konzert, das sie vor Jahrzehnten in der Hamburger Musikhalle erlebt hatten. Eine lange Zeit über war es ihre Freundeshymne gewesen. Ein Akkordeon seufzte, und Streicher spielten auf, und die Instrumente und der Gesang verschmolzen und tanzten süß und sehnsuchtsvoll über die Terrasse, wurden hochgehoben vom Wind, fortgetragen, und die zwei Liebenden fühlten ihre Seelen schweben, in jenem vollkommenen Gleichklang, an den Anne so glaubte und auf den Paul so hoffte. Das Meer rauschte, der Wind sang mit, ihre Herzen schlugen heftig.
    «Ich will hier bleiben», flüsterte Anne.
    «Ich auch!», flüsterte Paul.
    Als das Lied zu Ende war, drehte der Kellner die Stereoanlage wieder leiser. Anne und Paul blieben unbewegt Arm in Arm stehen und sahen der Sonne zu, wie sie dunkler und dunkler wurde, bis sie so rot war wie Feuer, tiefer und tiefer sank, bis sie am Horizont wie Lava zerfloss.
    Paul ließ Anne los: «Es ist kalt. Wir gehen wieder rein.»
    Sie kehrten an ihren Tisch zurück und bestellten das Essen.
    «Gib zu, das hast du alles arrangiert, Paul. So etwas Unwirkliches ... gibt es doch nicht!» Sie drehte sich im leeren Lokal um, der Kellner war in der Küche verschwunden, nicht ohne vorher die Kerzen auf den Tischen angezündet zu haben. «Du hast den Kellner bestochen! Und heute Abend das ganze Lokal gemietet.» Sie strich ihm über die Wange. «Zutrauen würde ich es dir.»
    «Nachsaison! Nichts weiter.»
    Der Kellner kam mit zwei Tellern, auf denen Scheiben von Mozzarella und Tomaten und Basilikumblätter lagen. Paul bestellte eine zweite Karaffe Wein und mahlte sich Pfeffer auf seine Vorspeise.
    «Du auch?» Er hielt ihr die Pfeffermühle hin.
    Anne schüttelte den Kopf. Sie aßen. Es war köstlich.
    «Was macht eigentlich Frau Merk?», fragte Anne unvermittelt.
    Paul war erstaunt: «Wie kommst du denn jetzt darauf?»
    Sie lachte auf. «Das habe ich manchmal so.»
    «Was?»
    Sie erzählte ihm, dass es oft nur eines Bildes oder einer Szene brauchte, um ein, wie sie es nannte «Gedankenkarussell» in ihrem Kopf in Bewegung zu setzen. Am Nachmittag hatte sie auf einer Bank in der Via Tragara drei alte Frauen beim Gespräch beobachtet. Sie unterhielten sich lebhaft gestikulierend, und weil sie ohne Männer dasaßen und ganz in schwarz gekleidet waren, hatte Anne den Eindruck, dass sie Witwen sein müssten. Zufriedene, in sich ruhende, italienische Witwen. Dann war ihr ihre Mutter in Bremen eingefallen. Was würde passieren, wenn ihr Vater stürbe? Seit fast fünfzig Jahren waren ihre Eltern verheiratet. Der Tod wurde verdrängt. Ein Leben ohne ihren Mann könne sie sich einfach nicht vorstellen, hatte ihre Mutter einmal gesagt: «Ich hoffe, ich sterbe vor ihm! Dein Vater kommt schon gut zurecht ohne mich.» Von ihren Eltern war sie auf ihre eigene Ehe gekommen und darauf, ob sie ohne Wolf leben könnte. Die italienischen Witwen, ihre Eltern, ihre Ehe, zu zweit sein, allein leben: Am Ende war sie bei Sybille angelangt, bei Paul, seiner Ehe, seinem Leben, seinem Beruf und schließlich: bei Frau Merk, deren Mann sich aufgehängt hatte. Alles schien ein Kreislauf zu sein, alles aus Puzzlesteinen zu bestehen, aus schwer zu deutenden Einzelteilen, die, legte man sie zusammen, doch ein Ganzes bildeten, dessen Bestandteil man selbst war.
    «Sie arbeitet bei uns», erklärte Paul lakonisch. «Wir haben sie als Haushälterin eingestellt.» Er berichtete Anne, dass der Grund für den Selbstmord Schulden gewesen seien. Nach seinem Tod sei alles unter den Hammer gekommen, und Frau Merk habe nichts mehr besessen außer ihrer Verzweiflung und ihrem Leben. Da habe Sybille, mit ihrem großen Herzen, wie er es formulierte, die Idee gehabt, sie anzustellen, sicher auch mit einem kleinen, egoistischen Impuls. Ihre langjährige Putzfrau Emma war nach Ghana zurückgegangen, und ein so großes Haus brauchte jemanden, der sich um alles kümmerte. So war allen geholfen, Frau Merk hatte ein kleines Zimmer im Souterrain bezogen und fühlte sich wohl mit ihrer neuen Aufgabe und schuftete wie ein Kuli.
    «Eine Haushälterin!»,

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