Die Albertis: Roman (German Edition)
bis zum Hals, «... du seist schon weg. Um neun Uhr. Wo warst du so lange?»
Anne atmete tief durch. Ebba. In der Not war eben doch Verlass auf sie. Morgen muss ich sie sofort anrufen, dachte sie und sagte: «Spazieren! Was glaubst du, warum mir sonst so kalt wäre.»
«Spazieren? Wir haben Frost! Ostwind! Spazieren: Verkauf mich doch nicht für blöd, Anne. Es ist gleich Mitternacht.»
«Ich brauchte noch mal eine Stunde für mich, habe den Wagen getankt, verdammt!» Sie stampfte mit dem Fuß auf die Badezimmerfliesen und wurde laut. «Sei doch nicht immer so misstrauisch. Mensch!»
«Ich merke, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich merke, dass etwas nicht stimmt. Ich frage dich nur einmal: Hast du mir etwas zu sagen?» Wolf fixierte seine Frau.
Jetzt, dachte sie, jetzt ist der Moment, der Augenblick, die Chance für mich, jetzt ist die Stunde der Wahrheit, hier in diesem Bad, mitten in der Nacht, am neunundzwanzigsten Dezember, und dieser Mann da mir gegenüber, der mir drei Söhne gemacht hat und mich seit zwanzig Jahren erträgt und liebt, mit Geduld und Verständnis und Kraft, dieser sensible, kluge Mann, der jetzt vor mir steht und nichts anderes will als meine Liebe, der hat es, verdammt nochmal, verdient, dass ich ehrlich zu ihm bin. Gib dir einen Ruck, Anne, spucke es aus. Es ist ohnehin viel zu spät und Ebba hatte Recht, wenn sie sagte, es würde in einer Katastrophe münden, aber wenn es nur einen Millimeter von Aussicht darauf gibt, das Schlimmste zu verhindern, und Verständnis zu erhoffen, und im Guten auseinander zu gehen, dann solltest du jetzt handeln!
«Ich habe dir gar nichts zu sagen, Wolf, ich bin schweinemüde.» Sie gab ihm einen Anflug von Kuss. «Ich sehe aus wie hundert, guck mich an, übermorgen ist Silvester, ich habe noch so viel vorzubereiten ... wir beide, meine ich, wir müssen morgen früh raus und alles besprechen, für die Party, weißt du doch. Ich will mich abschminken. Lass mich das eben machen. Ich komme gleich zu dir, ins Bett.»
Am nächsten Morgen rief Anne bei Ebba an. Ihre Freundin saß beim Friseur. Bernd, ihr Stylist, fuhr ihr gerade durch das frisch gewaschene, nasse Haar und lamentierte darüber, dass Ebba immer noch nicht seinem seit Jahren ständig wiederholten Rat folgen und sich eine neue Frisur machen lassen wollte, als das Handy klingelte. Sie hörte es nicht sofort.
«Schaun S'», jammerte Bernd zutiefst verzweifelt und suchte Ebbas Blick im Spiegel, «Sie haben so super schöne Haare, ja, und tragen die immer noch à la Oma Duck! Ich würd Ihnen einen Superschnitt machen, alles runter, verstehn S', Frau Mommsen, a bisserl hier vorne weg, Farbe rein: Sie wären ein ganz neuer Typ! Is des Ihr Handy, das da klingelt?»
«Ich will ja gar kein neuer Typ sein, Bernd!», entgegnete Ebba und beugte sich nach unten zu ihrer Handtasche.
Frauen, denen man weiße, kragenlose Kittel übergezogen hatten, stöckelten klappernd über den Marmorboden. Föhne summten mitleidslos. Eintönig klackerten Scheren. Ricky Martin sang mit Hüftschwung. Eine Stylistin lachte hell auf. Links blätterte eine Dame so gelangweilt wie geräuschlos die glanzbunten Seiten eines Journals um und sah alle zwei Sekunden auf ihre Armbanduhr. Sie wollte nicht warten, sie wollte unterhalten werden. Rechts plauderte eine Dame mit einer Stylistin namens Carmen über das Leben, während ihr mit einem breiten Pinsel Farbe auf die Strähnen gestrichen und diese mit Aluminiumfolie umwickelt wurden.
«Na, wegen einer Jüngeren!», sagte die Dame fröhlich und nahm mit spitzen Fingern den Keks vom Rand der Kaffeetasse, die vor ihr auf der Travertin-Ablage stand. «Aber sie ist auch selber schuld. Sie hat sich gehen lassen. So was mögen Männer nicht.»
«Wie wahr!», seufzte Carmen.
Die Dame warf den Keks zu Boden. Der Yorkshire-Terrier, der ihr zu Füßen lag, schnüffelte gelangweilt daran und ließ ihn liegen.
«Aber Whisky!», schimpfte sie und wandte sich dann wieder an Carmen. «Er frisst so schlecht in letzter Zeit. Aber ist ja auch schon alt. Wer weiß, wie es uns geht, wenn wir alt sind!»
«Wie wahr!», bestätigte Carmen und legte den Pinsel beiseite.
Ebba hatte ihr Handy gefunden, in der hintersten Ecke ihrer Tasche. «Gott, endlich!» Sie drückte das Symbol mit dem grünen Hörer und hielt sich das Handy ans Ohr. «Mommsen?»
«Ebba? Hier ist Anne.»
«Oh!», meinte Ebba nur. Sie hatte nicht mit Anne gerechnet. Sie hatte erwartet, ihr Büro würde anrufen und nachfragen, wann
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