Die Albertis: Roman (German Edition)
Geheimnis nicht länger leben.
Zwei Stunden waren sie spazieren gegangen, an der eisigen Alster entlang, unter kahlen, rabenschwarzen, bedrohlich wirkenden Bäumen, Arm in Arm. Anne hatte darüber geklagt, wie unerträglich es für sie sei. «Alles so banal, so klein, elend ... ich hasse es, Wolf anzulügen, die gute Mutter zu spielen und jeden Tag mit dir zusammen zu sein und es eigentlich nicht zu dürfen. Ich weiß gar nicht, wie andere Frauen das machen, um uns herum gibt es kaum noch eine Familie, wo die Eltern nicht geschieden sind, darüber reden die Kids in der Schule, Luis hat es mir selber mal erzählt. Aber der Weg dahin! Bis man die Wahrheit sagt. Bis man sich trennt, geschieden ist. Das sagt einem ja keiner, wo lernt man, wie man mit einer solchen Situation fertig wird.»
Am Ende des Gesprächs trafen sie eine Verabredung. Anfang des neuen Jahres wollten sie es sagen. Das kommende Jahr sollte den Neubeginn bringen. Es gab kein Zurück mehr. Der Weg führte nur in eine Richtung. Anne und Wolf würde es nicht mehr geben. Paul und Sybille auch nicht. Nur noch Anne und Paul und Paul und Anne. Die Frage, was mit den Kindern geschehen sollte, vertagten sie.
Anne umfasste den Becher, um sich die Hände zu wärmen. «Ich bringe ihm den Tee.» Sie nahm den Beutel heraus, warf ihn in das Spülbecken und ging mit dem Becher aus der Küche. Wolf entsorgte den Teebeutel im Müll, wischte das Becken sauber und folgte ihr. Als er ins Kinderzimmer kam, saß Luis aufrecht im Bett und umschlang seine Mutter.
«Mama! Warum gehst du immer weg?»
Sie drehte sich kurz nach hinten zu ihrem Mann. «Luis, nun sei nicht so babyrich! Es wird höchste Zeit, mein lieber Freund, dass ihr euch daran gewöhnt, dass ich auch ein eigenes Leben habe. Jetzt trink.» Vorsichtig reichte sie ihm den Becher. «Pass auf, ist heiß.»
Wolf setzte sich auf Luis' Schreibtischstuhl. «Hat er Fieber?»
«Hast du Fieber?», fragte sie Luis und fühlte seine Stirn. «Quatsch! Er ist kerngesund.»
«Verlässt du uns?» Mit großen Augen sah Luis seine Mutter an.
Ihr verschlug es die Sprache. Wie kam der Junge auf solche Fragen?
«Warum soll sie uns denn verlassen?», fragte Wolf und drehte sich langsam auf dem Stuhl hin und her, wie ein Junge. «Du hast Ideen!»
Anne wurde böse: «Also jetzt ist wirklich Schluss!» Sie nahm ihm den Becher weg und stellte ihn neben die Lampe auf den Schreibtisch. «Natürlich verlasse ich euch nicht.» Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund. «Nun wird geschlafen.» Sie ging zur Tür. «Komm, Wolf. Ich will nichts mehr hören, Luis. Gute Nacht!»
Sie verließen das Zimmer. «Träum was Schönes, kleiner Spinner, von einem Hund, der Ski laufen kann oder so.» Mit Bedacht schloss Wolf die Tür hinter sich. Im Flur sahen er und Anne sich an. «Er hat zu viel Phantasie!», konstatierte er.
«Ja, das hat er.» Anne war die Intuition von Luis unheimlich. «Lass uns auch schlafen gehen, ich bin sehr müde.»
Schnurstracks flüchtete sie ins Bad. Doch Wolf kam hinterher. Sie wusch sich die Hände, sah dabei in den Spiegel und bemerkte, wie er hinter ihr stand und sie beobachtete.
«Was ist los, Wolf?»
«Warum belügst du mich?», fragte er kühl. Sie drehte sich um. Das Wasser platschte ins Becken und lief gurgelnd durch den Abfluss. «Ich habe gegen neun bei Ebba angerufen», fügte Wolf hinzu.
Anne erschrak. Seit ihrem Krach im Oktober hatte sie mit ihrer Freundin nicht mehr gesprochen. Am Telefon in der Bank ließ sie sich verleugnen, zu Hause lief nur der Anrufbeantworter, auf dem Anne ein paar Mal Nachrichten hinterlassen, doch keinen Rückruf erhalten hatte. Auf die Karte aus Capri und den Weihnachtsgruß hatte Ebba nicht reagiert. Sie hatte nur einen Weihnachtsbrief an Annes Söhne geschickt, mit dreihundert Mark darin und besten Wünschen für die ganze Familie. Das war alles. Die Freundschaft mit Ebba schien beendet zu sein. Bis heute wusste Anne nicht wirklich, warum. Aber Ebba hatte schon häufiger solche Anwandlungen gehabt. Sie tauchte ab, meldete sich über Wochen nicht, um dann plötzlich vor der Tür zu stehen, mit bester Laune und einem Arm voller Geschenke, und so zu tun, als wäre nie etwas gewesen. Ebba war eben ein höchst eigenwilliges Wesen, und ihre Freundschaft dauerte nun schon so lange und war so tief, dass Anne vieles in Kauf nahm und alles verzieh.
«Ja und?», erwiderte Anne, drehte den Hahn zu und trocknete sich die Hände.
«Sie war zu Hause. Sie sagte ...», Annes Herz schlug
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