Die Albertis: Roman (German Edition)
hatte einen Hang dazu, das letzte Wort behalten zu wollen: «Das ist Mode, Sybillchen. Das ist schick und es ist warm. Und billig war es auch nicht.»
Sie hörten Motorgeräusche, Autoscheinwerfer zogen einmal quer durch den Raum, beide Frauen sahen hinaus. Sybille erhob sich. «Er ist schon wieder zurück!»
Auch Ruth stand auf. «Dann gehe ich lieber.»
«Ach nein!» Sie strich ihrer Freundin über die Wange. «Warum das denn?»
«Du quälst mich. Und du weißt es!»
«Ja.»
Paul hatte offensichtlich bemerkt, dass noch Licht in der Praxis brannte. Sybille sah ihn direkt auf deren Eingang zukommen, ging zur Tür zurück und schloss sie auf. Mit ihm kam Nachtluft herein, und sie wollte ihn gerade fragen, warum er seinen Mantel nicht trug, da bemerkte sie, wie Paul aussah. Er war bleich, sein Gesicht blutverschmiert. Quer über die Stirn verlief eine Wunde, und direkt unter dem Haaransatz hatte sich eine Beule gebildet.
Sybille fasste ihm erschrocken an den Arm. «Was ist passiert? Paul! Wie siehst du aus ?»
Er ließ sich in den Sessel fallen und starrte vor sich hin.
«Ein Unfall?», fragte Ruth.
Paul guckte sein Frau an und schüttelte den Kopf. «Ich muss mit dir reden», murmelte er fast unhörbar.
«Kann ich etwas tun?», wollte Ruth wissen, und als er verneinte, erklärte sie, dass sie dann gehen und die beiden wohl lieber allein lassen würde. Kurz umarmte sie ihre Freundin zum Abschied, nicht ohne noch einmal ihre Hilfe anzubieten und zu versichern, dass man sie jederzeit anrufen könne. Paul und Sybille bedankten sich. Ruth schlüpfte in ihren Wintermantel und verschwand.
Paul ging sofort in das Behandlungszimmer, das hinter dem Empfangsraum lag, schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Pling, pling, pling machten die Neonröhren und flackerten sekundenkurz, als müssten sie erst noch die Entscheidung treffen, ob sie angehen sollten. Das grelle Licht machte den Raum kalt. Weiße Hängeschränke mit Glastüren, hinter denen Medikamente gestapelt waren, Päckchen mit Verbandszeug und Rollen mit Pflastern. Eine Waage und ein taillenhoher Treteimer aus Chrom. Ein Aluwaschbecken, eingebettet in meterlange Arbeitsflächen, auf denen Scheren lagen, ein Behälter mit Glasröhrchen für Blutproben, gespülte Gläser, ein Blutdruckmesser. Hinter einem Paravent vis-à-vis der Behandlungsliege stand ein Stuhl, auf den sich Paul setzte. Sein Sakko hatte einen fünf Zentimeter langen Riss, quer über der Rückenpartie. Sein Arm tat ihm weh, mit schmerzverzerrtem Gesicht zog er das Sakko aus und drehte den Arm hin und her.
Sybille war in der Tür stehen geblieben und guckte ihren Mann fassungslos an: «Hast du dich geprügelt?»
«Vielleicht kannst du mir erst mal helfen!», schnauzte Paul sie an. Er stand auf und betrachtete sein Gesicht in dem rahmenlosen Spiegel neben dem Fenster zum Garten. «So ein Wahn ... sinn ... ah ...» Er stöhnte auf.
«Nun warte doch ...», Sybille kam zu ihm, «lass dir doch helfen!» Sie hatte nie eine Ausbildung zur Arzthelferin gemacht, es hatte sie nie interessiert, mehr noch, alles was mit Krankheit und kranken Menschen zu tun hatte, war ihr zuwider. Doch als Arztfrau hatte sie im Laufe der Zeit eine Menge mitbekommen, und durch ihre Kinder war sie gezwungen gewesen, erste Hilfe zu üben. Unsentimental und klar wie sie war, reinigte sie die Wunden mit ein paar schnellen, fast rücksichtslos ausgeführten Handgriffen, wusch ihm das Gesicht, verband ihn, rieb ihm seinen Arm mit Sportsalbe ein. Die ganze Zeit über sagte Paul nichts und sie fragte auch nicht, sondern konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Paul musste an Wolf denken und an Anne, die, nachdem die Leitung endlich frei gewesen war, nicht ans Telefon gegangen war. Vielleicht schlief sie schon. Vielleicht war Wolf nach Hause gekommen und hatte mit ihr gesprochen. Gesprochen? Paul machte sich Sorgen, ja, er hatte Angst um seine Freundin.
Sybille war fertig. «Fertig!», sagte Sybille nach einer Weile und betrachtete zufrieden ihr Werk. «Tut's weh?»
Er schüttelte den Kopf. «Ich muss dir was sagen.»
«Das denke ich mir.» Sie ahnte, dass es etwas Ernstes sein musste. Selten hatte sie Paul so aufgeregt erlebt. «Wir können runtergehen, ich mache den Kamin im Wohnzimmer an ...»
«Ganz egal!», erwiderte Paul barsch, «Hauptsache, du hörst mir zu.»
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen das Waschbecken.
«Das war Wolf.»
«Wolf?», fragte sie laut.
«Und er hatte allen Grund
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