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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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geschlafen! So gut wie schon lange nicht mehr. Von Sommerwiesen hatte Anne geträumt und davon, wie sie barfuß durch das Gras lief. Sie glaubte sich an einen Mann zu erinnern, der sie küsste, bis irgendwo in der Ferne ein Telefon klingelte. Und klingelte. Und klingelte. In einem Schwebezustand zwischen Traum und Wachsein griff sie nach dem drahtlosen Telefon, das immer neben ihr auf dem Nachttisch lag.
    «Ja?», sagte sie mit schwerer Stimme und knipste die Nachttischlampe an. Der giftgrüne Wecker, den Luis ihr vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte, zeigte sechs Uhr morgens an.
    «Anne?» Es war Pauls Stimme. Sie war plötzlich hellwach. «Schläfst du noch? Entschuldige, dass ich schon so früh anrufe ...»
    «Paul?» Sie richtete sich auf, drückte den Hörer dichter an ihr Ohr.
    «Ist alles in Ordnung, Liebes ?»
    «Was soll denn nicht in Ordnung sein?»
    «Hast du mit Wolf gesprochen?»
    Sie verneinte. Sie wollte wissen, was los sei und warum er diese Frage stelle. Sie sprach leise, denn sie wollte Wolf nicht wecken. Dabei blickte sie zur Seite, aber sein Bett war unbenutzt.
    «Er ist gar nicht ins Bett gekommen», erklärte sie ruhig und sprach jetzt lauter.
    «Er weiß es!», sagte Paul jetzt. Und: «Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Gestern Abend habe ich ständig versucht dich zu erreichen. Erst war stundenlang besetzt, dann ist keiner rangegangen. Ich mache mir Sorgen. Er war natürlich vollkommen aufgebracht, klar ... wir ... wir haben uns geprügelt ...» Dann erzählte er die ganze Geschichte, schnell, atemlos, in Panik.
    Anne unterbrach ihn nicht. In Ruhe hörte sie sich alles an. Ihr Herz verkrampfte sich. Nun war es also passiert, und ausgerechnet Paul, sein bester Freund, sein schlimmster Feind, hatte ihm die Wahrheit eingeschenkt in einer Kneipe, aber so musste es ja kommen. Wie viele Gelegenheiten hatte es gegeben, ihm alles zu sagen, doch sie hatte sich feige gedrückt. Sie schämte sich. Ihr war elend zumute.
    «Warte, Paul.» Anne sprang aus dem Bett. «Einen Moment.» Mit dem Hörer am Ohr öffnete sie die Schlafzimmertür, trat hinaus, ging den Flur entlang bis zu Wolfs Arbeitszimmer, öffnete die Tür, sah hinein. Im Dunkeln sah sie ihn auf dem Sofa liegen, eine Wolldecke über die Beine gezogen. «Er schläft», flüsterte sie und machte die Tür wieder zu und ging zurück ins Bett.
    Paul beruhigte sich ein wenig. In knappen Worten berichtete er dann, dass er auch mit Sybille gesprochen und wie sie auf seine Beichte reagiert hatte. Ihr Gespräch dauerte nur ein paar Minuten, beide waren nervös, hatten Angst vor dem, was nun kommen würde. Sie verabredeten, später noch einmal zu telefonieren.
    «Ich liebe dich, Anne», sagte er.
    «Ich liebe dich, Paul.»
    Nachdem sie das Telefon neben sich auf das Bett gelegt hatte, verschränkte sie die Arme vor der Brust und grübelte. Nein, dachte sie schließlich, ich will kein schlechtes Gewissen haben, ich will mich nicht schlecht fühlen, das habe ich die ganzen letzten Monate getan, und jetzt ist Schluss! Ich mache reinen Tisch. Ich spreche mit ihm und mit den Jungs, und meinen Eltern muss ich es auch sagen, ehe sie es von anderen erfahren, und dann gehen die Dinge eben ihren Gang. Ich bin eine Frau, die auch einen Anspruch auf Glück hat und auf ein zufriedenes Leben, und das hier, das war kein zufriedenes Leben, das war ein Arrangement und eine Tortur, und zwar für uns beide, und jetzt muss Wolf eben auch mal erwachsen werden, ich bin nicht seine Mami und seine Putze, das habe ich ihm tausendmal erklärt, und er wird's schon überleben, und vielleicht können wir ja Freunde werden, das wäre das Beste, auch für die Kinder.
    Nach dem ersten Schock fühlte sie sich fast etwas erleichtert. Es war getan! Die Vergangenheit lag hinter ihr! Es gab eine Zukunft! Eigentlich, überlegte sie, ist es doch eine ganz normale Geschichte. Menschen verlieben sich, lieben sich, entlieben sich, dann fehlt nur der eine letzte, der schwierigste Schritt, der den Mut verlangt, der einem doch meistens fehlt: dass man es wagt, sich zu trennen.
    Anne stand auf und öffnete die Vorhänge. Draußen war es immer noch dunkel, der Himmel blauschwarz und wolkenlos. Blasse Sterne blinkten ein letztes Mal, ehe die Nacht zu Ende war. Es würde sicher noch kälter werden, aber keinen Schnee geben. Die handtuchschmalen Gärten der Hinterhöfe, in denen kahle Kastanienbäume, Pappeln und Birken standen wie wachsame Zinnsoldaten, sahen abweisend aus, Gräbern

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