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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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sie vergessen! Nichts aß Pavel lieber.
    Während sie hantierte, trank sie in großen Schlucken ihren Tee. Sie bestrich die Brotscheiben mit Butter, bestreute sie üppig mit Krabbenfleisch, gab jeweils einen Klacks Mayonnaise darauf, zerteilte die Brote in zwei Hälften und tat sie auf den Frühstücksteller. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk und goss sich dann eine zweite Tasse ein, ehe sie es sich am Tisch gemütlich machte. Seltsam, dachte sie, so heil kann meine Welt sein, in Augenblicken wie diesen, und während sie das dachte, war es ihr auch schon peinlich. Aus zwei Gründen, die ihr beide bewusst waren: Zum einen, weil sie sich so unemanzipiert und spießig vorkam, Freude dabei zu empfinden, für ihre Söhne zu sorgen wie eine Glucke. Zum anderen aber und vor allem, weil sie jetzt hier in der Küche Tee trank und sich gut fühlte dabei und drüben, im Arbeitszimmer, ihr Mann schlief, den sie betrogen hatte und verlassen wollte und der eine schreckliche Nacht hinter sich hatte und eine schwierige Zeit vor sich haben würde.
    Anne kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn in diesem Augenblick stürzte Pavel herein, atemlos, schüttelte sie, versuchte sie hochzuzerren, sagte «Mama ...» und noch einmal «Mama ...» und schließlich: «Du musst kommen!»
    Sie reagierte nicht sofort.
    Jetzt schrie er fast: «Anne! Komm! Sofort! Du musst kommen ...»
    «Aber was ist denn?»
    Er raufte sich die Haare.
    «Pavel!»
    «Papa! Wolf! Es ist etwas mit Wolf, er ...»
    Er rannte aus der Küche. Sie stand sofort auf, lief ihm hinterher, durch den Flur, ins Arbeitszimmer. Es war hell erleuchtet. Pavel war neben seinem Vater in die Knie gegangen und schüttelte ihn.
    «Papa!», schrie er. Er drehte sich zu Anne um, hochrot im Gesicht. «Tu was! Scheiße!»
    Und da begriff Anne endlich. Neben dem Sofa lag eine leere Weinflasche, ein Glas war umgefallen, der Rest Rotwein auf dem Teppichboden verlaufen. Daneben lagen drei Päckchen Schlaftabletten, geöffnet, auseinander gerissen, leer.
    «Er stirbt, Mama, er stirbt.»
    Anne beugte sich herunter zu ihrem Mann, umfasste sein Handgelenk. Der Puls war schwach, aber er schlug noch. Sie legte, um Sicherheit zu bekommen, zwei Fingerkuppen an seine Halsschlagader. Wolfs Haut war warm. Sie fühlte ein müdes Pochen.
    «Wolf!», rief sie laut. «Wolf, wach auf!»
    Er reagierte nicht. Zu zweit versuchten sie ihn wachzurütteln. Nichts passierte.
    «Einen Arzt, wir müssen einen Arzt anrufen, Paul!», war Pavels Gedanke. Er rannte an den Schreibtisch, griff nach dem Telefon.
    «Einen Notarzt, mein Gott, einen Notarzt!», brüllte Anne und bemühte sich vergebens, Wolf hochzuhieven.
    «Ruf die Polizei ... 110 ...»
    Edward tauchte schlaftrunken in der Tür auf. «Was ist los?»
    «Papa», Pavels Stimme überschlug sich, während er abwechselnd die Nummer wählte und seinen Bruder ansah und sich nach seinem Vater umdrehte und nach seiner Mutter, die ihn wachkriegen wollte. Ihm liefen die Tränen über das Gesicht. «Er hat Tabletten genommen!»
    Edward kam zu seiner Mutter und half ihr, Wolf aufzusetzen. Wie tot sank sein Körper immer wieder in sich zusammen, Edward ohrfeigte ihn, er regte sich nicht.
    Im Hintergrund hörte Anne, wie Pavel am Telefon die Situation schilderte und bemerkte, wie Luis ins Zimmer kam, sich die Augen rieb, kein Wort sagte, näher kam und wie angewurzelt ein paar Schritte entfernt von ihr stehen blieb. Er schien nicht zu begreifen, was er sah, als wäre alles ein Film, den man betrachtet. Pavel erklärte, dass der Krankenwagen sofort kommen würde. Er ließ sich in einen Stuhl fallen und fing laut an zu weinen. Anne und Edward bemühten sich, Wolf auf die Beine zu stellen.
    «Es geht nicht!», sagte Anne mit trockener Stimme. «Wir legen ihn wieder hin.»
    Da lag er, der Vater von drei Söhnen, Annes Ehemann, wie schlafend und war doch schon auf der Reise in eine andere Welt, und er sah so friedlich aus und so gut und so liebenswert, dass auch Anne mit den Tränen kämpfte. Zu dritt sahen sie zu ihm hinunter. Pavel war vollkommen aus der Fassung geraten. Immer lauter weinte er, sprang auf, trat gegen den Papierkorb, fegte die Zeitungen, die auf dem Schreibtisch lagen, herunter und schrie immer und immer wieder nach seinem Vater, so als habe er ihn bereits verloren.
    Edward reagierte als Erster. Er ging zu Pavel, hielt ihn fest, umarmte ihn, flüsterte: «Ey! Ey Pavel! Pavelotzki. Ist alles gut. Alles okay. Er lebt.» Edward guckte seine Mutter an.

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