Die Albertis: Roman (German Edition)
Mann, betrogen von Frau und Freund, betrogen um eine Illusion, eine Zukunft. Er wollte nicht mehr, er konnte nicht mehr.
Nach der Schlägerei und seiner Flucht aus der Kneipe war er nach St. Pauli gefahren, hatte sich in miesen Schuppen und Bars in einen Rausch geworfen, sich um den Rest seines Verstandes gesoffen, war mit dem Auto in den Morgenstunden nach Hause gefahren, ins Haus gewankt, in die Wohnung, in sein Arbeitszimmer, hatte versucht, seine Gedanken zu ordnen, und einen Brief geschrieben, war müde geworden, lebensmüde und hatte mit einer Flasche Rotwein alle Schlaftabletten heruntergespült, die er finden konnte. Alle jene Tabletten, die Paul ihm in regelmäßigen Abständen gab gegen Wolfs Schlafstörungen. An das, was danach passiert war, konnte Wolf sich nicht erinnern. Erst im Krankenhaus war er wieder aufgewacht, umsorgt von Ärzten und Schwestern, die ihn seltsam anguckten und ansprachen, wie einen Irren, den es fortan zu betreuen galt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wie ein Schlag war ihm die ganze Geschichte in das Gedächtnis gesprungen. Hass gegen Paul kroch in ihm hoch, Traurigkeit, seine warme Liebe zu Anne und den Söhnen, und eine unerklärliche Sehnsucht. Ja, hatte er dem Arzt geantwortet, sie soll zu mir kommen, sie soll bei mir sein, ich will mit ihr reden, sie ist meine Frau und ich liebe sie.
Da stand sie jetzt. Er klopfte mit der Hand auf den schmalen, freien Rand neben sich. Anne schob die Bettdecke ein wenig beiseite und setzte sich. Sie wollte etwas sagen, aber er legte ihr die Finger auf den Mund. Sei still, dachte er, und sie verstand es. Und was hätte sie auch sagen können, in dieser Situation? Ihm neue Lügen auftischen? Ihn trösten?
«Es ist alles in Ordnung», sagte Wolf, «alles in Ordnung.»
«Es tut mir so Leid, Wolf.»
«Nein, mir tut es Leid!», erklärte er mit fremder Stimme. Seine Speiseröhre schmerzte, seine Stimmbänder waren durch den Eingriff gereizt, er hatte eine trockene Kehle.
«Was ist mit den Jungs?»
«Sie sind zu Hause. Ich soll dich grüßen. Sie waren sehr erschrocken. Genau wie ich. Aber jetzt, wo ...», sie wollte nicht sagen: du lebst und hob noch einmal an, «... jetzt, wo wir wissen, dass es dir wieder gut geht, sind sie beruhigt.»
«Wie geht es denn nun weiter?» Wolf sprach sehr langsam. «Mit uns?»
«Ich weiß es nicht.» Anne wusste es tatsächlich nicht, in diesem Moment. Sie fühlte sich Wolf nah, und sie war beschämt über alles, was geschehen war. Aber hätte sie Paul erklären können, dass alles, was sie geplant hatten, nun nicht mehr ging? Natürlich nicht. Was sie besonders berührte, war, wie zart und schwach dieser sonst so kraftvolle Mann vor ihr im Bett aussah. Sie hatte erwartet, dass er sie anschreien würde. Mit Streit hatte sie gerechnet, nicht mit Weichheit und Verständnis. Dass er sich jetzt auch noch bei ihr entschuldigte. In diesem Augenblick betrat eine Schwester den Raum. Sie war keine dreißig, trug eine Brille und kurze Haare, sie hatte ein fröhliches Lachen in den Augen und einen festen Schritt.
«Ich bin Brigitte!», sagte sie und streckte Anne die Hand entgegen. «Ich kümmere mich um ihren Mann.»
«Guten Tag.» Sie schüttelten sich die Hände.
«Was möchten Sie denn essen, Herr Alberti?»
«Keinen Hunger!»
«Das glaube ich Ihnen. Aber Sie müssen was essen. Wie wäre es mit einer Gemüsesuppe?»
«Gemüsesuppe hat er gerne!», erklärte Anne.
«Na dann!» Sie ging zur Tür zurück. Ihre Kunststoffsohlen quietschten auf dem Linoleumboden. Sie blieb vor der Tür stehen und drehte sich um: «Er wird wieder! Wir kriegen das gemeinsam hin, was Herr Alberti?» Ohne seine Antwort abzuwarten, verschwand sie aus dem Krankenzimmer.
Wolf sprach weiter: «Ich habe es die ganze Zeit über geahnt, irgendwie ... nicht alles geahnt, nicht dass es Paul sein könnte ... der nun gerade ... aber er war schon immer der Frauenheld, nicht wahr? ... Er war mir immer überlegen, er ist so ein Siegertyp, der sich nimmt, was er will, ohne Rücksicht auf Verluste ...»
Sie unterbrach ihn: «Lass uns jetzt nicht darüber reden, Wolf. Du musst dich erst mal ausschlafen, wieder zu dir kommen, ruhiger werden ...»
«Na, nun behandele mich nicht auch wie einen Bekloppten!» Er drehte den Kopf zur Seite. «Das machen die anderen hier schon alle.»
«Ja, aber du hast versucht, dir das Leben zu nehmen!»
Er lachte auf. «Glaubst du das von mir? Ich lebe doch viel zu gerne! Ich war besoffen, ich wusste gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher