Die Albertis: Roman (German Edition)
mehr richtig, was ich tue, es ist ein Ausrutscher gewesen, komplett falsch, ich hätte zu dir kommen und mit dir reden müssen. Reden, verstehst du, richtig reden.»
«Wir haben alle Zeit der Welt.»
«Nein. Haben wir nicht.»
Sie schwiegen. Beide wussten nicht, was sie sagen sollten. Jeder ging seinen Gedanken nach. Schließlich strich Anne ihrem Mann über die Wange und stand auf.
«Ich gehe nach Hause. Ich muss zu den Jungs. Schlaf dich aus. Morgen komme ich wieder.» Sie drückte ihm einen Kuss auf den Mund, lächelte tapfer und ging zur Tür.
«Anne?»
Sie drehte sich um.
«Ich liebe dich.»
«Ja», antwortete sie. «Ich weiß.»
Am späten Abend kehrte Anne zurück. Als sie die Tür aufschloss und den Flur betrat, war alles ruhig. Sie hängte ihren Mantel an die Garderobe. Ihr fiel auf, wie ordentlich alles war. Die leere Colakiste, die neben der Wohnungstür seit Tagen zum Abtransport gestanden hatte, war nicht mehr da. Die beiden Lederjacken von Pavel hingen auf Bügeln, Luis' Schuhe waren zum ersten Mal seit hundert Jahren geputzt und in den Schuhschrank geräumt worden. Seine Inlineskates, die immer irgendwo im Weg lagen, waren verschwunden. Keine Schmutzwäsche flog durch den Flur, keine Essensreste, Sporttaschen oder Werkzeugkästen standen herum, selbst in Wolfs Arbeitszimmer hatten ihre Söhne alles wieder auf Vordermann gebracht.
«Ich bin zurück!», rief Anne und ging in die Küche. Dort saßen Edward, Pavel und Luis am Tisch und spielten Rommé, ihr Lieblingsspiel. Als sie ihre Mutter sahen, sprang Luis auf, kam auf sie zugerannt, umklammerte und küsste sie. Auch Edward erhob sich, zuletzt Pavel, und allen waren die Fragen ins Gesicht geschrieben.
«Ich soll euch ganz lieb grüßen von ihm. Es geht ihm wieder gut.» Ungläubige Blicke. «Wirklich! Es geht ihm gut. In ein, zwei Tagen kann er schon wieder zu Hause sein. Nun steht doch nicht so rum, so angewurzelt, setzt euch.»
«Willst du was essen?», fragte Edward.
«Wir haben Spaghetti gekocht!», erklärte Luis. «Und wir haben alles wieder in Ordnung gebracht. Du siehst nichts mehr!» Die Küche war auf Hochglanz geputzt. Anne schnürte es die Kehle zusammen: Wie mussten sich ihre Söhne fühlen, wie verzweifelt mussten sie sein, dass sie ihr diese Freude bereiten wollten?
«Ich habe keinen Hunger, danke.» Sie versuchte zu lächeln. Alle setzten sich um den Küchentisch.
«Aber du hast doch im Krankenhaus bestimmt nix gekriegt», insistierte Edward. «Du siehst völlig Scheiße aus, so blass, und du hast Augenschatten bis zum Kinn.»
«Na, vielen Dank.»
«Was trinken wenigstens?» Edward ging an den Kühlschrank und öffnete ihn.
«Gib mir ein Wasser, bitte.»
Pavel steckte sich eine Zigarette an, er hatte noch kein Wort gesagt, sah sie nur immer wieder mit finsterer Miene an. Edward brachte ihr ein Glas Wasser und goss sich den Rest aus der Bierdose ein, die vor ihm stand.
Anne trank. «War was?», wollte sie wissen und dachte daran, ob Paul sich wohl gemeldet habe.
«Tante Ingrid hat angerufen», erklärte Luis.
«Hast du ihr was gesagt?», fragte sie erschrocken, denn die Letzte, von der sie sich in diesem Moment wünschte, dass sie alles wüsste, war ihre Schwester.
Luis zeigte auf Edward: «Er hat mit ihr telefoniert.»
Edward schüttelte den Kopf. «Wolltest du doch nicht.»
«Gut.»
«Dann hat Paul angerufen», fuhr ihr Ältester fort, «du sollst ihn unbedingt zurückrufen, aber erst nach zehn, er ist unterwegs.»
«Aha.»
«Spielen wir noch fertig?» Luis fächerte mit der rechten Hand sein Blatt auf.
«Sicher nicht!», erwiderte Edward trocken und schob langsam die Karten zusammen. «Pestbeule!»
Anne nutzte den günstigen Moment und erzählte ihren Söhnen die ganze Geschichte. Sie sprach davon, wie sehr sie in den letzten Jahren das Gefühl gehabt habe, sie und Wolf würden nur noch nebeneinander her leben. Von Paul und sich redete sie und davon, dass sie sich liebten und sich seit Monaten nicht trauten, die Wahrheit zu sagen. Sie trug alles sehr ruhig vor und sicher, in klaren Worten, und ließ nur weniges aus. Stumm hörten die drei ihr zu, nicht einmal Luis unterbrach sie.
Nach ein paar Minuten war Anne fertig. «Es ist ja klar, dass ich euch das jetzt erzähle, ihr seid schließlich keine Babys mehr und alt genug, dass man euch so was auch zumuten kann.»
«So was.» Edward klang zynisch, als er das sagte.
«So was, ja. Ich verstehe, dass ihr erst einmal Zeit braucht, um das alles zu ...
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