Die Albertis: Roman (German Edition)
sowieso schon ihrer Wege. Die braucht mich nicht. Laura hat immer viel mehr an dir geklebt als an mir, das wissen wir doch! Paul, ich möchte endlich mein eigenes Leben führen!» Es war, als habe ihr Paul mit seinem Betrug einen willkommenen Ausstieg aus dem Familienkarussell geliefert. «Ich will mit Ruth nach Bali, nach Ubud, sie kennt dort ein schönes kleines Hotel als Ausgangspunkt für eine Rundreise, wir wollen mindestens zwei Monate dort bleiben. Ich kann die Mädchen nicht gebrauchen.» Das klang hart. Und genauso war es auch gemeint. Schließlich hatte sie noch eine Bitte geäußert: «Sag ihnen das bitte nicht so, wie ich es dir gesagt habe. Ich meine: das könnten sie missverstehen.»
«Na ja, das kann man gar nicht missverstehen. Wie sollen wir ihnen das erklären? Sie wollen mit dir ausziehen. Und du lehnst das ab, Sybille.»
«Wir sagen ihnen: Erstens hat Ruth keinen Platz. Zweitens will ich weg, für längere Zeit. Drittens möchte ich mir danach einen Job suchen, ich will wieder arbeiten, vielleicht studieren, mein Romanistikstudium fortsetzen, vielleicht auch bei Ruth mitarbeiten, sie braucht jemanden, der ihren ganzen Bürokram macht und den Laden. Ich will eine Aufgabe haben. Mutter war ich lange genug. Und ich werde ihnen sagen, und du tust das bitte auch: Ich bin ja nicht aus der Welt. Ich bleibe ihre Mutter. Sie bleiben meine Töchter. Wenn sie mich brauchen, bin ich da. Ganz easy.»
Gesagt, getan. Sie verschwand ganz einfach. Einmal die Woche kam eine bunte Postkarte aus Bali. Das war es. Paul blieb nichts anderes, als sich an diese Verabredung, wie Sybille es genannt hatte, zu halten. Und auch die Mädchen, so betrübt sie waren, mussten sich fügen. Frau Merk war der ganzen Familie Ross dabei eine große Hilfe, sie umsorgte Pauls Töchter, als wären es ihre eigenen, Haus, Garten und Praxis wurden so gut geführt wie nie zuvor. Wenn Anne zu Besuch kam (und sie fuhr so oft wie möglich raus), war Frau Merk allerdings wie verwandelt. Schlimm genug, dass Anuschka der Geliebten ihres Vaters aus dem Weg ging, und Laura, die sonst immer so fröhlich und so herzerfrischend schräg gewesen war, sich einsilbig und zickig gab. Doch Frau Merk setzte noch einen obendrauf. Sie redete einfach nicht mit Anne. Wenn sie das Wohnzimmer betrat und Anne bei Paul auf dem Sofa saß, würdigte sie Anne keines Blickes. Sie sprach nur mit Paul, richtete ihre Fragen nur an ihn. Wenn Anne in die Küche kam, ging sie hinaus. Sagte Anne etwas zu ihr, reagierte sie einsilbig, tat manchmal sogar so, als würde sie nichts hören. Es war schrecklich für Anne. Sie beschloss im Stillen, dass sie Frau Merk nicht ausstehen könne.
«Sie hängt eben abgöttisch an Sybille», erklärte Paul, «aus ihrer Sicht hat Sybille ihr damals geholfen, als ich sie zu uns holte. Für sie bist du die Fremde, der Eindringling, diejenige, die alles kaputtgemacht hat.»
«Vielleicht stimmt das ja sogar.»
«Ach, du musst das verstehen. Nicht jeder kann mit der Situation so locker umgehen, wie du und ich das gerne hätten.»
Wie wahr. Anne steckte im Zugzwang. Sie musste ihren Eltern die Wahrheit beichten. Das war das Schlimmste für sie. Man bleibt eben immer das Kind, egal, wie alt man ist, und das Prinzip des Wohlverhaltens und die Angst vor Liebesentzug steckt den meisten Menschen in den Knochen. Immer wieder zögerte Anne es hinaus. Vor zwei Wochen erst hatte sie ihrer Schwester Ingrid alles erzählt, am Telefon, per Ferngespräch von Hamburg nach München, wo Ingrid lebte.
«Nun!», hatte sie geantwortet, und Anne sah förmlich, wie Ingrids Nase noch spitzer wurde als sonst. «Du musst wissen, was du tust.»
Ingrid, schlank und einsachtzig groß, war ein nervöser Typ. Sie konnte unglaubliche Streits vom Zaune brechen, einfach so, aus heiterem Himmel. Irgendetwas passte ihr nicht, und dann sah man auch schon, wie sie im Begriff war überzukochen. Die Wut stieg in ihr hoch, sie konnte sich nicht mehr bremsen, sie legte los wie ein Sportwagen, der in der geschlossenen Garage Vollgas gibt. Ohnehin schon redselig was ihr sicher in ihrem Beruf als Reisebürochefin entgegenkam –, sprudelte sie dann Worte aus einer unerschöpflichen Quelle der Unzufriedenheit heraus, wurde lauter und lauter, kramte olle Kamellen hervor, kam vom Hundertsten ins Tausendste, bis sie erschöpft verstummte mit der harmlos gezwitscherten kleinen, giftigen Frage: «Ich habe doch Recht oder?»
Niemand wollte ihr widersprechen. Ihre zwei Töchter nicht
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