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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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entglitten zu sein. Sie war eine Managerin des Alltags, den es so nicht mehr gab. Sie stand einer Familie vor, die auseinander gebrochen zu sein schien. Frei, aber gescheitert. Wie sollte sie das alles ihren Eltern erklären. Sie bekam es mit der Angst zu tun. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen. Stattdessen trank sie Wein. Und schwieg.
    Ihr Vater hüstelte erneut.
    «Was hast du?», fragte Doris.
    «Willst du nicht doch lieber dein Jackett, Ernst ...?»
    «Nein, wieso? Ist doch völlig überheizt hier.»
    Doris streichelte ihrer Tochter über die Wange. «Blass siehste aus, Annettchen.»
    «Doris, nun lass sie mal erzählen.» Ernst verschränkte die Arme vor der Brust.
    Anne holte tief Luft.
    «Es ist doch nichts mit den Jungs?», fragte Doris, ehe ihre Tochter etwas gesagt hatte.
    Strafender Blick von Ernst. «Und das Bier ist auch zu kalt.»
    «Oder mit Wolf?»
    Anne schüttelte den Kopf. «Nein.»
    «Mit Wolf und dir?»
    Das Essen kam. Auf einem silbernen Tablett servierten die Kellner Porzellanschälchen mit Kapern, gehackten Zwiebeln und Cornichons, das durchgedrehte Rindfleisch mit einem Eigelb, dazu Flaschen mit Tabasco, Worcestersauce und Cognac, eine Pfeffermühle und Salz. Während der Oberkellner das Tatar zubereitete und auf einer Untertasse eine Kostprobe für Doris servierte, wurden von zwei jungen Kellnern auf einem Beistelltisch Wärmeplatten aufgestellt, die Seezunge für Anne filetiert, der Salat mit Vinaigrette angemacht, das Steak mit Bratkartoffeln und Gemüse auf einem vorgewärmten Teller für Ernst angerichtet. Der Auftrieb war beeindruckend. Es klapperte, es klirrte, es duftete, es zischte. Leise und knapp gab Herr Nährig seine Anweisungen. Es wurde nachgeschenkt und vorgelegt und guten Appetit gewünscht, die Kellner zogen sich zurück, die Gäste begannen schweigend zu essen.
    «Nicht schlecht!», konstatierte Ernst mit vollem Mund. «Bisschen blutig, aber nicht schlecht.»
    «Meins ist sehr schön!», erklärte Doris, pikste eine Kaper auf die Gabelspitze und führte sie zum Mund. «Könnte ich zu Hause auch mal wieder machen, nicht, Ernstelchen?»
    «Hmm.»
    «Und deines, Liebes? Ist die Seezunge schön?»
    «Wolf und ich haben uns getrennt.»
    Doris und Ernst aßen weiter.
    «Er ist bereits letzte Woche ausgezogen.»
    Doris lachte auf. Ernst legte sein Besteck ab und sah seine Tochter an.
    «Er hat eine eigene Wohnung genommen, die Jungs bleiben bei mir, es ging nicht mehr. Wir sind aber friedlich auseinander.» Es kam ihr vor, als würde sie ein Telegramm vorlesen.
    «Na, so ein Unsinn!», sagte Doris lächelnd und aß ungerührt weiter.
    «Darf ich das nochmal hören?» Ernst legte die Hand hinter sein rechtes Ohr.
    «Wir haben uns getrennt, weil ich einen anderen habe.» Sie senkte den Kopf. «Ich habe mich verliebt. In Paul Ross.»
    Jetzt hörte auch Doris auf zu kauen und starrte ihre Tochter fassungslos an.
    «Na, da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt!» Ernst wurde etwas lauter, als man gemeinhin in solchen Restaurants zu sein hat. «Das sagst du uns mal eben so, zwischen Tür und Angel, beim Mittagessen ...»
    Doris unterbrach ihren Mann: «Wo wir es gerade so gemütlich haben!»
    «Wieso erfahren wir das erst jetzt? Getrennt! Das geht doch nicht so hopplahopp ... das muss doch schon mindestens ...» Er wurde analytisch, in einer Weise, wie er sie Edward vererbt hatte und wie Anne sie besonders hasste. Er war ein Mathematiker. Anne wusste, dass Mathematik gefühllos machte. In schwierigen Momenten war sie immer wieder mit diesem Wesenszug ihres Vaters konfrontiert gewesen, sie verabscheute das, weil sie es fürchtete. Sie musste daran denken, wie sie vergebens in all den Jahren versucht hatte, diesen Teufel aus Edward auszutreiben. Sie wollte keinen Sohn haben, der sie an ihren Vater erinnerte. An einen kleinlichen, rechnenden, berechnenden Vater, der, rücksichtslos gegenüber den Empfindungen anderer, alles immer auf eine Formel bringen wollte. Das Leben ließ sich auf keine Formel bringen. Da ver rechnete er sich eben.
    Doris wischte sich mit der Serviette den Mund ab. «Ich kann es gar nicht glauben!»
    «... Moment, Moment: wir waren zuletzt Weihnachten bei euch. Da hat man aber nix von Trennung gemerkt, nicht wahr? Paul ... dieser Dr. Paul Ross, das ist doch so ein anständiger Kerl, ich denke, das ist Wolfs bester Freund? Da sieht man's mal wieder, man kann eben keinem trauen, nicht einmal den Freunden. Wie kann denn so was passieren, mein Gott,

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