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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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eingepackten Essen sofort zurückzukommen. Nachdem er wenige Minuten später alles zur Zufriedenheit der Damen erledigt hatte und die Speisen in Aluminiumfolie eingeschlagen und in eine Papiertüte verstaut wieder auf dem Tisch standen, zündeten sich Anne und ihre Mutter die Zigaretten an. Anne war die Gauloise zu stark und sie paffte nur. Doris jedoch inhalierte tief und lehnte sich zufrieden in ihrem Sessel zurück und nahm den unterbrochenen Gesprächsfaden wieder auf.
    «Fräulein Rippke, ich fragte, ob du dich an sie erinnerst, das war die Sekretärin in eurer Schule, als ihr damals noch in Paps' Schule gegangen seid, Ingrid und du.» Sie seufzte.
    Natürlich erinnerte sich Anne an Fräulein Rippke, die alte Jungfer, schlecht gelaunt und bösartig zu den Kindern, liebesdienerisch gegenüber dem Kollegium. Damals hatten sie sich lustig gemacht über sie, weil sie so verhärmt aussah und so zickig wirkte und man sich über sie erzählte, dass sie Nudistin sei und eine hundsmiserable Sekretärin, die berühmt dafür war, dass sie dem Schulleiter jeden Morgen den Nescafé filterte, das dumme Huhn. In Erinnerung daran musste Anne schmunzeln, und ihr fiel wieder ein, wie sehr sie diese Frau verabscheut hatte und wie heimtückisch gemein Fräulein Rippke ihr gegenüber immer gewesen war, bis zu dem Tag, als ihr Vater Schulleiter wurde.
    «Und dann kam dein Vater eines Tages nach Hause, lange nach dem Mittagessen, und von da an wurde es plötzlich immer Abend, weil er ja so viel Arbeit hatte als Direktor, und ich entdeckte, dass Paps sein Brot in der Tupperdose mit dem roten Deckel wieder mitbrachte.»
    «Das Hasenbrot!»
    «Ja, das Hasenbrot. Da wusste ich: Etwas stimmt nicht. Er legte doch immer so viel Wert auf seine regelmäßigen Mahlzeiten. Eines Abends habe ich zu ihm gesagt: Ernst, da ist eine andere Frau. Er hat natürlich geleugnet. Dann kamen die Sommerferien, und er wollte nicht mehr nach Hörnum, sondern nach Kampen, wegen des Nacktbadestrands, diesen Floh hatte sie ihm ins Ohr gesetzt, ich wusste ja, dass sie sich dafür begeisterte. Und dann habe ich unsere Koffer gepackt, und wie wir abreisen wollten, habe ich ihm erklärt, wir führen zu Omi Pinneberg, er könne allein nach Sylt, zu seinem Fräulein Rippke.
    Na, da hat er es mit der Angst gekriegt. Ich habe ihn vor die Wahl gestellt. Er hat sich entschieden. Sonst würde ich hier nicht mit euch sitzen.»
    «Fräulein Rippke? Diese verknöcherte ...?» Anne dachte: Mein Vater! Hält mir Vorträge, greift mich an, benutzt das Wort Ehebrecherin und ist selbst fremdgegangen! Seltsam: Wieso hatten sie und ihre Schwester nichts davon mitbekommen, sie waren keine Kinder mehr gewesen zu jener Zeit, sondern Teenager. Und warum hatte ihre Mutter das nie erzählt? Bei aller Nähe, die man gegenüber geliebten Menschen zu spüren glaubt, bleibt doch immer ein Rest Fremdheit, jeder Mensch trägt ein Geheimnis in sich, das er nicht preisgeben will – dieser Gedanke schmerzte sie. Und dass ihr Vater Sex hatte (oder gehabt hatte), irritierte sie maßlos. Ernst Hofmann, der Fräulein Rippke bumste, hechelnd, schnell, roh, stöhnend, sabbernd, schwitzend, nachmittags, auf dem Schreibtisch vielleicht, wo ein Stapel unkorrigierter Arbeiten darauf wartete, mit roten Kringeln, Fragezeichen, Schlängellinien, bösen Anmerkungen und schlechten Noten versehen zu werden: Diese Vorstellung war grauenhaft für sie.
    Der Mann am Nachbartisch stand auf, legte seine Serviette auf den Tisch und ging. Anne und er nickten sich zu, wie zwei Bekannte.
    Doris redete weiter: «Tja, das passiert wohl in jeder Ehe mal, das ist ja nun keine Erfindung der Neuzeit, Betrug, Fremdgehen, was auch immer man dazu sagen mag.» Sie klopfte die Asche von ihrer Zigarette ab. «Aber früher, zu unserer Zeit ...»
    «Sag doch nicht immer: zu unserer Zeit! Ist das nicht mehr deine Zeit? Du lebst doch noch!»
    «... es war eben anders, da hat dein Vater schon Recht: Man trennte sich nicht einfach so. Man dachte über die Konsequenzen nach. Man kämpfte. Man überwand seine Probleme. Man blieb zusammen. Schon wegen der Kinder.» Sie drückte die Gauloise aus und wischte sich mit der Serviette die Fingerkuppen ab. «Ich finde, die heutige Generation macht es sich da einfach zu leicht. Ihr werft solche Dinge wie Ehe und Partnerschaft und Familie einfach so weg! Ihr gebt zu schnell auf. Der arme Wolf. Ist das denn endgültig? Kann man da gar nichts mehr machen?»
    Anne hatte keine Lust, mit ihrer Mutter über

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