Die Albertis: Roman (German Edition)
es.»
«Dafür, dass du so, ach, arg zu leiden hast, siehst du aber Bombe aus!», konstatierte Ebba und sah Anne über den Rand ihrer Teetasse hinweg an. «Man könnte neidisch werden. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du hast dich liften lassen.»
«Sehr witzig.»
«Ich bin bald mal wieder dran!» Sie stellte ihre Tasse ab und zog ihre Wangenhaut nach hinten. «Gerade gestern stand ich vor dem Spiegel und dachte, Ebba, Süße, es wird Zeit. Die Konkurrenz schläft nicht, es wachsen täglich neue Mädels nach, die dir die Männer wegnehmen.» Sie nahm ihren Kuchenteller, spießte mit der Silbergabel ein Stück Apfel auf und führte es mit einer übertriebenen Geste zum Mund. Dann wollte Ebba alles über Paul wissen, seine Geschichte, seine Interessen, wie er mit ihr umging, was sie in ihrer Freizeit unternahmen, wie die Praxis lief. Schließlich kam sie auf Sybille zu sprechen. Anne holte zwischendurch aus der Küche zwei Schnapsgläser und nahm aus dem Kühlschrank eine Flasche Limoncello. Frau Merk stand an der Spüle und schälte Spargel für das Abendessen. Eigentlich hätte Anne froh darüber sein können, aber ihr war diese Frau unangenehm, und sie hatte das Gefühl, überall im Haus, wo sie hinkam, war Frau Merk schon da. Als sie zurückkam, hatte Ebba ihre Schuhe ausgezogen und es sich, halb liegend, mit ein paar Kissen im Rücken, auf dem Sofa gemütlich gemacht. Anne klagte über ihr Verhältnis zu Frau Merk und erzählte, wie es dazu kam, dass sie bei ihnen wohnte und arbeitete.
«Wozu brauchst du überhaupt eine Haushälterin? Ist doch Quatsch, du hast doch noch nie eine gebraucht! Ich würde mir so was verbitten, so eine schlecht gelaunte Tante, die sich überall wichtig macht. Brauchst du nicht, du brauchst eine Putzfrau, fertig.»
Anne goss die zwei Gläschen voll mit dem Zitronenlikör.
«Es ist natürlich auch ganz angenehm, keine Frage. Aber ich komme einfach mit ihr nicht klar. Sie hasst mich, weil sie Sybille so geliebt hat. Außerdem habe ich das Gefühl, sie arbeitet Tag und Nacht daran, dass ich hier rausfliege, nicht sie. Sie intrigiert bei Paul gegen mich, sie stachelt die Mädchen auf, was ihr besonders bei Anuschka gelingt.»
«Was sagt denn Paul dazu?»
«Ach, du kennst doch Männer in solchen Situationen. Er überlässt das ganz mir.»
«Also schmeiß sie raus.»
«Ebba, sei doch nicht immer so kalt!»
«Wie? Ich stelle mich auf deine Seite, Darling, ich bin nicht kalt.»
«Ich könnte das nicht. Sie ist sechzig, glaube ich, ihr Mann hat sich umgebracht, sie hat Schulden, hat mir Paul mal erzählt. Man kann doch so jemanden nicht vor die Tür setzen.»
«Dann musst du mit ihr mal Tacheles reden. Was glaubst du, wie viel unangenehme Personalgespräche ich führen muss! Allein erziehende Mütter, Kerle, die an der Flasche hängen, Dauergestresste, Überforderte, Loser, Nullen, jeder hat eine andere Geschichte, warum er nicht funktionieren kann und nicht entlassen werden darf. Ich finde ja sowieso, in unserer modernen Arbeitswelt hat sich etwas geändert. Und zwar zum Schlechten. Es gibt fast nur noch unfähige Leute. Kaum jemand, der wirklich was von seinem Job versteht. Und seine Arbeit gerne macht. Alle jammern, alle haben dieses Anspruchsding im Kopf, fuffzig Prozent der Zeit geht drauf mit Wehklagen und Quatschen im Flur. Wir sind ein Volk des Mittelmaßes geworden. Keine Eigenverantwortung mehr. Alles Ergebnis der Verwöhnung. Der Kuchen ist gut. Ich nehme mir noch ein Stück.»
Wenn jemand anders so reden würde, dachte Anne, hätte ich sofort Streit angefangen. Sie empfand Ebbas Ansichten als radikal, konservativ und eindimensional und hoffte, dass sie nicht wirklich so dachte. Wahrscheinlich hatte Ebba einfach nur einen schlechten Tag hinter sich.
«Weil wir gerade vom Wehklagen reden: Genau genommen ist mein Problem mit Frau Merk auch noch ein anderes. Es kommt mir so vor, als befänden wir uns in einem andauernden Wettlauf: Wer macht welche Arbeit zuerst? Sie gewinnt fast immer. Und ich bleibe zurück und denke: Was gibt es hier im Haus eigentlich für dich zu tun?»
«Wer hat dir vor einem drei viertel Jahr gesagt: Such dir einen Job?»
«Wer hat mir gesagt: Such dir einen Liebhaber?»
«Na ja, dann ist ja Teil eins der Aufgabe erledigt. Bleibt noch Teil zwei.»
«Ich kann nichts Ebba. Was soll ich hier in Ahrensburg machen?»
Ebba nippte am Likör und stellte ihn zurück, er war ihr zu süß. «Also bleibt es dabei: Wir haben einen Schritt
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