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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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nicht?« Sie löste ihre Hand. »Als ich in Jena ankam, hatte ich nichts als eine Reisetasche in der Hand. Eine Frau, ich nehme an, es war Ihre Schwester, bat Professor Weber, mir zu helfen. Das hat er getan. Er hat mir das Grab meines Bruders gezeigt und mir ein Zimmer zu einem anständigen Preis in einem der Gasthöfe vor der Stadt vermittelt. Er hat mir sogar Geld geliehen, viel Geld. Ich habe es seiner Witwe vor Jahren zugesandt. Zusammen mit der Kleidung, die er mir gegeben hatte.«
    »Meine Schwester hatte in der Trauer das Kind verloren, das sie unter dem Herzen trug.« Hufeland war überrascht von der Heftigkeit der Gefühle, die ihn überkamen. »Er war ein guter Mensch, bei allen gern gesehen.«
    |265| »Umso weniger kann ich verstehen, wer ihm das antun konnte.«
    »Antun?« Hufeland sah sie verständnislos an. »Was meinen Sie damit?«
    »Nun …«, Helene zögerte. »Ich dachte …«
    »Was dachten Sie?« Eine furchtbare Ahnung beschlich ihn.
    »Ich dachte, Sie wüssten, dass Ihr Schwager keines natürlichen Todes gestorben ist.«
    »Nein, Sie müssen sich irren. Das ist sicher ein Trugschluss, man hätte es mir doch gesagt!«
    »Wie sehr wünschte ich, Sie hätten recht damit«, flüsterte sie. »Ich habe ihn gefunden. Wussten Sie das nicht? Er lag in seinem Bett und hat sich nicht gerührt. Man hat Ihnen erzählt, sein Tod sei natürlichen Ursprunges? Nein, da hat man Sie zu täuschen versucht.« Sie sah sich rasch um. »Helfen Sie mir, den Korb nach oben zu tragen? Ich möchte das nur ungern auf offener Straße besprechen.«
     
    So unscheinbar das Äußere des Hauses war, so sehr versetzte die Wohnung im ersten Stock ihn in größtes Erstaunen. Sie war groß und mit exquisitem Interieur ausgestattet. Vor allem die geräumige Stube zeugte von bestem Geschmack: Kostbare Porzellanvasen, die Chaiselongue, ein dicht gewebter Teppich, deckenhohe Regale, gefüllt mit Büchern, ein glänzendes Tafelklavier. An jedem anderen Tag hätte er sich an dieser Schönheit erfreut, nun aber stand er Helene gegenüber, atemlos ob der Andeutung, die sie unten auf der Straße gemacht hatte.
    »Was war mit meinem Schwager?«, fragte er nun und schüttelte den Kopf, als sie ihm anbot, sich zu setzen.
    »Als ich ihn wegen des geliehenen Geldes aufsuchte, war das Schloss an der Haustür aufgebrochen. Ich nehme an, er hatte versucht, den Eindringling abzuwehren oder die Tür zu verstellen, denn ein Stuhl war zerborsten.« Helene sah ihn an, und er bemerkte, dass ihre Lippen bebten. »Man hatte mit seinem Finger eine eigentümlich anmutende blutige Spur auf das Laken gemalt, doch es war keine Wunde zu sehen.«
    |266| »Eine blutige Spur? Wie sah sie aus?«
    »Nun …« Sie begann eine Kurve in die Luft zu malen. »Ungefähr so.«
    »Eine Schlange«, flüsterte er.
    »Eine Schlange? Sind Sie sicher? Ich hatte nicht gedacht, dem eine Bedeutung beizumessen.«
    »Nun, die Verbindung, der auch Ihr Mann angehörte, verwendete es als Symbol.«
    Helene starrte ihn mit weit geöffneten Augen an. Dann schob sie ihren Ärmel zurück und entblößte eine feine Narbe, die sich über das Handgelenk zog. Es war dieselbe Linie, die er vor Jahren auch schon bei Minchen gesehen hatte. Der Kopf, vier Windungen.
    »Auch Sie waren Teil der Experimente?«
    »Ja. Aber nur ein Mal. Johann hat mich nie wieder darum gebeten.«
    Die Spur der Schlange. Sie war auf den Handgelenken der Mädchen, auf dem Boden seiner eigenen Stube, auf dem Laken von Ernst, seinem geliebten Schwager. Es war eine schmerzhafte Erkenntnis, die ihn plötzlich überfiel. Mit Leib und Leben, Gut und Blut. Es hatte auch für ihn gegolten. Wie hatte er sich all die Jahre einreden können, Ernst Adolph Weber sei eines natürlichen Todes gestorben?
    Ich sollte es sein, dachte er, das galt mir.
    Ihm hatten sie bedeutet zu schweigen, doch irgendetwas war geschehen, wofür sie ihn bestrafen wollten. War es, weil er Johann Vogt noch einmal abgepasst hatte? Was würden sie als Nächstes tun, nun, da er den Eid gebrochen hatte? Und was würde mit Helene geschehen, wenn sie wussten, dass er mit ihr sprach? Er sah sie an, beobachtete, wie sich ihre Brust rasch hob und senkte.
    In ihren Augen standen Tränen. »Sie hatten recht, als Sie sagten, dass die Verbindung gefährlich sei. Ich habe es immer gewusst, doch ich habe es nicht wahrhaben wollen. Johann ist doch mein Mann. Wie habe ich mich so in ihm irren können?«
    Hufeland nickte. »Wir beide haben uns in ihm geirrt. Johann Vogt ist Teil

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