Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
werden sich also mit Ihren unterschiedlichen Auffassungen nicht so bald ins Gehege kommen.« Sie seufzte. »In der Zwischenzeit versuche ich, mir einen Reim auf all die Dinge zu machen, die sich damals in Jena ereignet haben. Aber ich muss gestehen, ich stoße bei meiner Suche nach der Wahrheit auf solche Hindernisse, dass meine Tatkraft nachzulassen beginnt. Und wahrscheinlich ist es auch das Beste, die Dinge ruhen zu lassen, Albert ruhen zu lassen, und sich des Lebens zu erfreuen.«
»Ja, das wäre in der Tat das Beste«, sagte Hufeland, »vor allem an einem so wundervollen Tag wie diesem. Und nun bin ich neugierig, diesen Gewürzhändler kennenzulernen.«
Je näher sie dem Platz kamen, desto dichter wurde die Menge. Gaffer und Kunden umringten Marktstände, an denen es Tuch, Wachskerzen und Fisch zu kaufen gab. Ein Zündholzverkäufer stellte sich ihnen in den Weg und versuchte erfolglos, seine Ware aufzudrängen. Helene nickte nach links, grüßte eine der Marktfrauen, die in einem Bauchladen Seife feilbot, dann plauderte sie kurz mit einer Bürgersfrau in weißem Musselinkleid und breitkrempigem Hut, der ihr vom prall gefüllten Sack eines sich vorbeidrängenden Lumpensammlers beinahe vom Kopf gestoßen wurde. |263| Endlich blieb Helene vor einem Stand stehen, der von den Umstehenden mit außerordentlicher Neugier beäugt wurde. Belustigt beobachtete Hufeland, wie Helene an Gewürzen und Kräutern roch, mit dem Händler, einem Mann mit dunklen Augen und ebensolcher Haut, feilschte und ihren Korb mehr und mehr füllte. Eine große Kiste erregte ihre Aufmerksamkeit ganz besonders, sie war gefüllt mit schmalen Nüssen, die er hier noch nie gesehen hatte.
»Das sind Mandeln«, erklärte Helene. »Haben Sie schon mal welche gegessen? Am Weimarer Hof serviert man sie zu besonderen Gelegenheiten mit Zucker überzogen.«
Er schüttelte den Kopf.
Sie nahm eine Nuss, holte ein kleines Messer aus der Rocktasche und spaltete sie mit einer geschickten Bewegung. Dann hielt sie ihm den Kern hin. »Die Mandeln haben eine weite Reise hinter sich gebracht und sind hier, abseits der Handelswege, kaum mit Gold aufzuwiegen. Für die Herstellung von Marzipan darf man nur die süßen verwenden. Man erkennt sie an der braunen Haut. Hier, probieren Sie.«
Er warf dem Händler einen fragenden Blick zu, dieser lächelte ergeben und zuckte die Schultern.
Die Mandel schmeckte köstlich. Anders als die heimischen Nüsse, süßer und feiner.
Nur wenig später war Helenes Korb beladen und so schwer, dass Hufeland ihr anbot, ihn zu tragen. »Sie fertigen Marzipan?«, fragte er erstaunt. »Woher wissen Sie um die Herstellung? Das Rezept ist seit Jahrhunderten in der Hand der Apotheker.«
»Von meinem Vater, einem der besten Apotheker Königsbergs, nein, ganz Preußens.«
Es war seltsam. All die Jahre hatte Alberts Schicksal ihn beschäftigt, und nun musste er feststellen, dass er nichts von ihm gewusst hatte, nichts über seine Herkunft, den Beruf seines Vaters. »Und was machen Sie mit dem Marzipan? Verkaufen Sie es auf dem Markt?«
»Nein. Aber wenn Sie mich nicht verraten, dann erzähle ich Ihnen, wo Sie es erwerben können.«
|264| »Ich gebe Ihnen mein Wort.«
»Beim Hofbäcker Grellmann, der sich um die Vorschrift, es nur zu medizinischen Zwecken in Apotheken zu vertreiben, nicht schert, seitdem viele Zuckerbäcker aus Frankreich und der Schweiz die Lande überschwemmen und ihre Künste ungehindert ausüben. Jedoch bietet er dieses Konfekt nur zu besonderen Anlässen an, denn nach seinem Aufschlag ist es nahezu unerschwinglich.«
Sie waren inzwischen vor dem Haus am unteren Markt angekommen, in dem Helene wohnte. Es war ein einfacher Bau, doch mit sauberer Fassade und stuckumrandetem Eingang. Hufeland stellte den schweren Korb auf den Boden.
»Ich habe noch nie Marzipan probiert. Mein Schwager hingegen hatte einmal davon erzählt. Er verwendete nicht weniger als fünf Bedeutungen des Wortes ›köstlich‹. Er nannte es
marci panis
, das Markusbrot.« Hufeland verstummte. Dann straffte er die Schultern. »Er war auch Professor an der Salana, Professor der Theologie.«
»Ja, ich weiß. Der Tod Ihres Schwagers tut mir sehr leid.« Helene legte ihre Hand auf seinen Arm. »Er war sehr freundlich zu mir. Ohne ihn hätte ich die erste Zeit nur schlecht überstanden.«
Die Berührung war ihm seltsam angenehm, und er verhielt sich ruhig, aus Angst, sie könne ihn wieder loslassen. »Sie kannten Ernst?«
»Ja. Erinnern Sie sich
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