Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
eines Ordens, der nicht davor zurückschreckt, zur |267| Durchsetzung seiner Interessen zu morden.« Er blickte ihr in die Augen. »Ich möchte Sie bitten, Johann nichts von unserem Treffen zu erzählen, wenn er von seiner Reise zurückkehrt. Ich möchte Sie nicht in Gefahr bringen.«
»Ich habe nicht die Wahrheit gesagt, als ich erzählte, er sei verreist. Johann ist seit fast einem Jahr verschwunden. Seitdem man die Mitglieder aller Verbindungen und Orden gegen den Widerstand der Studenten aus der Stadt getrieben hat, habe ich nie wieder von ihm gehört. Er ist geflohen, um sich der Verhaftung zu entziehen.«
»Er war Teil der Aufrührer im vergangenen Jahr?« Hufeland begann zu verstehen. »Dann kann er jeden Augenblick wiederkehren. Man hat es den Einflussreicheren unter ihnen erlaubt, gegen die eidesstattliche Versicherung, den Verbindungen den Rücken zu kehren, die Stadt wieder zu betreten. Hat man Sie darüber nicht informiert? Wir sollten uns besser nicht mehr sehen.« Er war bereits an der Tür, als er noch einmal innehielt. Wenn Vogt ihr nicht von der Entdeckung erzählt hatte, die sie auf dem Friedhof gemacht hatten, so musste er es nun tun. »Und was Albert betrifft, so werde ich Ihnen etwas erklären müssen.«
Nur wenig später, als er die Gasse entlangging und versuchte, sich auf die bevorstehende Vorlesung zu konzentrieren, spürte er, dass sein Leben einen anderen Weg einschlug als geplant. Ihm war kalt, ein furchtbares Frösteln ergriff Besitz von seiner Seele, und es war nicht der Wind, der um die Häuser blies, der ihm Schauer über den Rücken jagte.
Die dunkle Macht, von der er geglaubt hatte, dass sie sich zurückgezogen habe, war noch immer da. Und sie war unberechenbarer als je zuvor.
Der Hauptsitz der Universität, deren Institute und Gebäude über die ganze Stadt verstreut waren, befand sich in den alten Gemäuern des Paulinerklosters an der Mittagsseite der Stadt. Bevor Hufeland die Collegengasse betrat, konnte er schon das Dach der alten Kirche sehen, die mit der Größe der Stadtkirche zwar nicht |268| konkurrieren konnte, aber nicht minder eindrucksvoll war. Bald stand er davor, betrachtete ehrfürchtig das längliche Gebäude, die massiven Mauern und das auf zehn Pfeilern ruhende Gewölbe.
In seinem Kopf war ein einziges Wirrwarr, die Gedanken kreisten ohne Unterlass. Die heutigen Vorlesungen hatte er nur mit größter Mühe überstanden, nun sehnte er sich nach Klarheit und einer Ruhe, die er in der Universitätskirche zu finden hoffte.
Hufeland erreichte das Portal und fand es verschlossen, doch als er an der Pforte des Turms rüttelte, ließ sie sich öffnen, und er gelangte ins Innere.
Der Luftzug, den er mit sich brachte, ließ die einzige Kerze auf dem Altar flackern, ein kalter Hauch schlug ihm entgegen, der Geruch modernder Wände. Durch die staubigen Fenster drang das Licht der untergehenden Sonne. Seine Schritte hallten von den Wänden wider, als er nach vorn ging, sich bekreuzigte und auf einer der vorderen Bänke Platz nahm.
Hufeland faltete die Hände und neigte den Kopf. Doch die Ruhe der geheiligten Räume wollte sich nicht auf sein Gemüt übertragen. Ein weiterer Luftzug ließ ihn aufblicken, um ihn herum war nur Stille, kein Schritt, kein Geräusch. Im Augenwinkel glaubte er, einen Schatten zu sehen, beinahe blieb ihm das Herz stehen, doch als er sich ihm zuwandte, sah er nichts als kahles Mauerwerk.
Abergläubische Angst, dachte er zornig, Sinnbild vergangener Fratzen, mit denen er sich nun befassen würde. Aber dies war ein Gotteshaus, hier würden sie ihm nichts anhaben können.
Hufeland neigte wieder den Kopf und dachte über das nach, was er am Morgen von Helene erfahren hatte.
Seine Hochstimmung der vergangenen Tage hatte sich als trügerisch erwiesen. In dieser Stadt hatte sich im Verborgenen Furchtbares ereignet, und er war nicht länger gewillt, die Augen davor zu verschließen, so lange die Geschehnisse auch zurückliegen mochten. Alles, was er in den vergangenen Jahren im hintersten Winkel seiner Erinnerung verborgen hatte, war nun hervorgebrochen. Die Erkenntnis, dass sein Schwager ermordet worden war, hatte in ihm eine Wut entbrannt, die ihn schwindeln ließ.
|269| Im Geiste zählte er auf, was ihn beunruhigte und was er zu enträtseln suchen müsste.
Zum Ersten: War Albert wirklich infolge eines Duells gestorben? Helene hatte ihm vorhin den Brief gezeigt, den ihr Bruder kurz vor seinem Tod geschrieben hatte, und wie es schien, war er
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