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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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daran gehindert worden, etwas zu verraten oder zu entwenden.
    Zweitens fragte er sich, ob Albert überhaupt verstorben war. Wo war er oder seine Leiche? Und warum war Ludwig Gerstel in seinem Grab gewesen, was hatte er getan, dass man ihn an Alberts statt begraben hatte? War dieses Verbrechen jemals aufgedeckt worden?
    Drittens, das Wichtigste, wie er meinte, und das, was ihn in diesem Augenblick am meisten interessierte: Wer hatte seinen Schwager Ernst Adolph Weber ermordet, und welchen Anteil hatte er selbst daran gehabt, als er ihn ins Vertrauen zog? Und warum hatte man die Familie glauben lassen, er sei eines natürlichen Todes gestorben? Es konnte nur heißen, dass jemand Einflussreiches von der Universität in den Mord verstrickt war, denn der Fall unterlag der Aufsicht der Universitätsbehörde.
    Vielleicht wusste Loder mehr darüber, der engste Freund der Familie, dem er bislang in allem vertraut hatte. Ihn würde er als Erstes dazu befragen.
    Und viertens wollte er der Frage nachgehen, welche Rolle Johann Vogt in dieser Tragödie spielte. Er und diese unselige Verbindung. Hufeland dachte an Helene. Vogt hatte eine Frau wie sie nicht verdient. Warum hatte er ihr nicht erzählt, dass ihr Bruder nicht in dem Grab lag, das sie Woche für Woche besuchte? Fühlte er sich noch immer dem Eid verpflichtet, den sie sich in jener Nacht geschworen hatten?
    Bis vor kurzem hatte er selbst sich daran gebunden gefühlt, bis der Wunsch übermächtig geworden war, die Menschen vor so unchristlichen Methoden zu warnen wie jenen, von denen Vogt ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt hatte, von den abergläubischen Praktiken, den Versuchen mit dem Blut junger Mädchen. Johann Gottfried Herder jedoch, Theologe und auch |270| sein Patient, hatte ihn in einem ernsthaften Gespräch dazu geraten, sein Gewissen über den Eid zu stellen, der ihm auf unlautere Weise abgerungen worden war. Ohnehin sei er gegen den blinden Gehorsam, mit dem der Mensch sein Menschsein verlöre.
    Hufeland hatte den Artikel, den man im
Neuen Teutschen Merkur
veröffentlichte, als Befreiungsschlag empfunden. Würde er sich nun gegen ihn wenden?
    Er sah nach vorn zum Altar, sein Blick glitt über die Porträts eines längst verstorbenen Kurfürsten und seiner Söhne, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Es gab noch einen weiteren Punkt, der imstande war, alle vorangegangenen zu einem Häuflein bloßer Absichtsbekundungen zusammenschmelzen zu lassen: Er würde kein Licht ins Dunkel bringen können, ohne damit auch seine Familie zu gefährden.
     
    Das Erste, was ihm auffiel, als er sein Haus betrat, war die ausgelassene Stimmung, die ihm entgegenschlug. Juliane hatte sich hübsch gemacht. Sie saß am Klavier, umringt von den Studenten, die in den anderen Trakten zur Miete wohnten, und spielte ein Menuett. Ihre dunklen Haare fielen in offenen Locken über das viel zu weit ausgeschnittene Dekolleté des von Spitzen und Falten überladenen Kleids, das ihn an ein Baiser erinnerte.
    Als sie Hufeland bemerkte, hob sie nur kurz ihre Brauen und wechselte augenblicklich zu einem Studentenlied, in das die Burschen laut einfielen. Einer von ihnen schwang sich zu ihr auf den Hocker und rückte eng an sie, begann sie mit festem Griff in die Tasten zu begleiten.
    Hufeland überlegte, seine Frau zur Raison zu bringen, aber ihm stand nicht der Sinn danach, also schüttelte er nur unmerklich den Kopf und ging die Treppe hinauf. Leise öffnete er die Tür zum Kinderzimmer und setzte sich auf das Bett seines Sohnes. Durch das Fenster fiel das Mondlicht und schien auf das zarte Kindergesicht. Hufeland betrachtete die entspannten Züge, das regelmäßige Heben und Senken der Brust. Erst als seine Tränen auf den schmalen Körper tropften, merkte er, dass er weinte.
    |271| Nein, er durfte nicht zulassen, dass seiner Familie etwas geschah. Nicht noch einmal. Er musste sie unverzüglich zurück nach Weimar schicken, bis er Klarheit hatte.
    Er wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab und strich dem Jungen über das Haar. Dann ging er zum Bett seiner Tochter, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, und gerade als er das Zimmer verlassen wollte, richtete sich die kleine Wilhelmine auf und rieb sich die Augen. »Vater?«
    Vom Erdgeschoss erklang mehrstimmiger Männergesang, in den sich Julianes übermütiges Lachen mischte.
    Sofort war er bei seiner Tochter und nahm sie in den Arm. »Ja, mein Kleines?«
    »Ich kann nicht schlafen, der Mond scheint so hell.«
    Hufeland hielt sie

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