Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
Vom Netzwerk:
alchemistische Kunst zu vollenden? War es das, was Carl Lohenkamp suchte, als er Alberts Taschen durchwühlte?«
    »Vielleicht.«
    »Und die Blutübertragungen? Wie passt das Blut hier ins Bild?«
    »Ich denke, die Transfusion war nur Teil der Experimente. Das junge Blut war die Urmaterie, die sie mit der Kraft ritueller Vereinigungen zu Höherem transformieren wollten. Vielleicht mischten sie es mit den Ergebnissen ihrer Laborkunst und hofften, die Alten zu neuem Leben zu erwecken, ihre Gesundheit wiederherzustellen.«
    Hufeland schüttelte den Kopf. »All das sind Beispiele für den Unfug, den der Aberglaube hervorbringen kann. Sehen Sie, was hier geschieht? Man liest alte Schriften und hält sich an magische Riten, zerstört Menschenleben im Glauben, damit eine unbezwingbare Kraft zu schaffen, die ewiges Leben verspricht. Haltloser Unsinn! Die Befreiung des Denkens von den starren Fesseln |289| des kirchlichen Weltbilds führt zu unglaublichen Auswüchsen, von denen die Alchemie mit ihren unzähligen Disziplinen eine der Schlimmsten ist: Naturmagie, Orakellesen, Astrologie, Geistervokation und sonstige geheime Wissenschaften. Es ist, als bräche eine Flut abergläubischer Gedanken aus dem vormals gezähmten Geist. Die Menschen glauben, das sei das neue Weltbild, doch in Wahrheit ist es nur der Schatten des alten.«
    Helene spürte, dass Hufeland recht hatte, doch es gab noch eine andere Wahrheit. »Die Alchemie ist eine alte Tradition, mit deren Hilfe man sich der verborgenen Kräfte der Natur bedient, und die werden nur Eingeweihten sichtbar. Es gibt Dinge, die wir mit unserem Verstand nicht begreifen können, doch sie sind immer präsent. Diese Kenntnisse erwirbt man nicht durch logische Überlegungen.«
    »Nein. Die Alchemie ist die Sehnsucht nach der Macht, nach unermesslichen Reichtümern, allerhöchsten Ehren. Nach ewiger Jugend und unendlichem Wissen. Es ist der anmaßende Versuch, es Gott gleichzutun! Helene, das kann nur scheitern. Und ich werde meinen Teil dazu beitragen, diesem Treiben ein Ende zu machen.«
    »Und wie wollen Sie das tun?«
    »Es gilt, Bruderschaften wie dieser den Boden zu nehmen, in den sie ihre abscheulichen Ideen pflanzen können. Der Hang der Menschen, sich abergläubischen Methoden zu unterwerfen und derartige Experimente zuzulassen, entspringt ihrer Unwissenheit, und es kann dem nur mit rückhaltloser Aufklärung begegnet werden, auch in den ungebildeten Schichten. Ich möchte Licht ins Dunkel bringen! Die dämonische Macht mag sich noch immer im Verborgenen der Stadt verbreiten und darauf warten, erneut zuzuschlagen. Ich werde nicht ruhen, bis die Verantwortlichen aus ihren dunklen Verstecken gezerrt werden und man sie für diese Gräueltaten zur Verantwortung zieht, selbst wenn diese Jahre zurückliegen. Vor allem aber«, nun seufzte er, »vor allem möchte ich wissen, wer meinem Schwager und Ihrem Bruder das angetan hat.«
    Ein plötzliches Geräusch ließ sie zusammenfahren. Eine Tür knarrte, nun erklangen Schritte. Ein kalter Luftzug fuhr durch den Raum, brachte den Geruch von Feuchtigkeit und Moder. Jemand |290| kam näher, blieb stehen, dann erklang leises Wimmern, als weine ein Kind.
    »Christoph, wir müssen hier weg!«, wisperte Helene, und das Blut wich aus ihrem Gesicht.
    »Nein, warten Sie.« Er drängte sie an die Wand hinter der Tür und löschte die Kerze, äußerlich ruhig. Doch sie hatte die Angst in seinem Gesicht gesehen.
    Die Schritte wurden lauter, es war fast ein Schlurfen, als ziehe jemand ein Bein nach.
    Helene drängte sich an Hufeland, schloss die Augen und spürte seinen warmen Atem an ihrer Stirn. Seine Brust hob und senkte sich im Gleichklang mit der ihren. Aus dem Wimmern wurde ein tiefes Lachen, das mit den sich entfernenden Schritten verklang. Dann war es still.
    Helene spürte Hufelands Herz pochen. Doch ihres schlug schneller. »Lassen Sie uns jetzt endlich gehen«, flüsterte sie.
    Sie folgte ihm in den dunklen Gang. Manchmal blieb er stehen, lauschend, sich umsehend. Dann winkte er ihr, ihm in den ersten Raum zu folgen. Plötzlich spürte sie etwas in ihrem Nacken, etwas strich über ihr Haar. Helene schrie, schlug um sich, doch ihre Schläge gingen ins Leere.
    »Hier ist etwas«, schrie sie laut, und sie stürzten voran.
    Sie rannten den Raum hinaus, den Korridor entlang auf den schmalen Pfad, durch das dichte Geäst bis zum Weg. Keuchend blieben sie stehen, als sie die Brücke zur Saale erreichten. Helene hielt sich nach Luft ringend die

Weitere Kostenlose Bücher