Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
wie er in Wellen durch das Gewölbe rollte und dann verklang. Er war bereit für die Unsterblichkeit.
Die Flamme der Kerze flackerte in einem plötzlichen Luftzug. Noch bevor sich die Tür öffnete, spürte er, dass sich jemand näherte. Er hatte nicht gedacht, dass er schon jetzt kommen würde, auch wenn es nur eine Frage der Zeit gewesen war. Er zog die Maske über das Gesicht, holte ein Bündel getrockneten Krauts aus dem Gewand und entzündete es behutsam, bis es zischend verglomm und kleine Rauchschwaden das Gewölbe durchzogen.
Dann setzte er sich aufrecht und begann, ruhig und zielgerichtet zu atmen, bis der Erwartete den Raum betrat.
»Superior«, flüsterte dieser ohne Erstaunen und schritt zum Kopfende des Tisches, um sich tief vor ihm zu verbeugen und das Ritterzeichen zu schlagen.
»Johann.« Der Superior hielt den Degen hin, damit er den Knopf küssen konnte. »Sie kommen früh.«
|318| »Ich habe gesehen, wie Albert in der Stadt verschwunden ist, doch ich habe seine Spur verloren.«
»Sie waren unaufmerksam.«
»Ich war müde!«
Dem Superior entging nicht der Unmut in Vogts Stimme. Er überlegte kurz, ihn zu maßregeln, ließ es dann aber. »Ich weiß, wo er sich aufhält.«
»Wo ist er?«
»Später.« Der Superior wies auf einen Stuhl. »Erzählen Sie mir, was sich inzwischen zugetragen hat.«
Johann Vogt setzte sich und begann zu erzählen. Von dem Tag, an dem er Albert Steinhäuser aus der Irrenanstalt holte, bis zu dem Moment, als er ihn vor den Toren von Jena im Wald aussetzte.
»Sie hatten recht mit Ihrer Annahme«, schloss er. »Er hat mich wiedererkannt, und ich bin auch sicher, dass er mir glaubte, als ich erzählte, ich sei gekommen, um ihn zu befreien. Aber seine Lippen blieben verschlossen. Auch als ich ihn ruhig und beständig nach dem Ort der Rezeptur fragte. Er ist vollkommen wahnsinnig, verhält sich wie ein getriebenes Tier. Er hat in den Jahren der Gefangenschaft den Orientierungssinn verloren, es hat Tage gedauert, bis er die Stadt erkannte und sich ihr näherte.«
»Das war Teil des Plans. Er befindet sich in der Welt der Schatten, zu der nur wenige Zugang haben. Doch sie ist mitten unter uns, und wenn man sie kennt und sich in ihr bewegt, verliert sie ihren Schrecken.«
Vogt schluckte. In seinen Augen standen Tränen. »Man hat es übertrieben, als man ihm die Seele nahm.«
»Niemand hatte erwartet, dass er den Qualen der Folter so lange zu widerstehen vermochte. Es hätte einen einfacheren Weg gegeben, wenn er es zugelassen hätte.«
»Ja. Doch nun ist er zu verwirrt, um uns zur Rezeptur zu führen. Wer weiß? Vielleicht hat er sie längst vergessen?«
»Woher wollen Sie das wissen, er ist Ihrer Aufsicht doch entkommen, oder etwa nicht?«
Vogt sah ihn betroffen an und setzte zu einer Entschuldigung an, |319| doch der Superior hob Schweigen gebietend den Arm. »Die Rezeptur ist irgendwo in Jena, sie muss hier sein, und er wird uns zu ihr führen!«
»Und wenn nicht? War dann alles umsonst?«
Das war zu viel. Der Superior stand langsam auf und konzentrierte sich auf die dämonische Macht in seinem Innern. Dann bündelte er seine Kräfte und richtete seinen finsteren Blick auf Vogt, tief in seine Augen bis auf seinen Geist. »Genug des Widerspruchs!«, zischte er. Seine Worte hallten im Raum in einem vielfachen Echo wider, schienen immer lauter zu werden. Vogt hielt sich die Ohren, sprang vom Stuhl auf und taumelte nach hinten.
Der Superior hatte unzählige Male miterlebt, wie der Bann einen Menschen umbringen konnte, und es erstaunte ihn immer wieder aufs Neue, welche Kraft es zu entfalten vermochte, wenn man Personen vorab in meditativen Sitzungen diese Wirkung suggeriert hat. Es erregte ihn, und er hörte erst auf, als Vogt wimmernd am Boden lag.
»Sie wissen, was Sie zu tun haben!«
Vogt atmete schwer. »Ich werde Albert Steinhäuser nicht mehr aus den Augen lassen.«
»Und? Haben Sie nicht etwas vergessen?«
Vogt nickte, und die Tränen liefen ihm über die Wangen, tropften auf den staubigen Steinboden. »Dem Eidbrecher seine gerechte Strafe zuteilwerden lassen.«
Der Superior nickte und entließ Vogt aus seiner Macht, sah ihm nach, wie er aus dem Raum torkelte gleich einem angeschossenen Tier.
Er schluckte den Ärger herunter. Zuerst hatte er sich in Albert geirrt und nun auch in Johann. Doch die Zeit der Entscheidung war gekommen. Sieg oder Niederlage, Tag oder Nacht. Der Superior schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Wenn Johann dem Befehl
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