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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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das Gefühl gab, sie sei bei ihm sicher. Aber alles, was ihm durch den Kopf ging, war albern und kindisch.
    Sie sah ihn erwartungsvoll an, dann spürte er ihren Finger auf seinen Lippen.
    |311| »Sie haben dort noch etwas …«, sagte sie lächelnd und streckte ihm den Finger hin, auf dem sich nun eine Spur Schokolade befand, die sie von seinen Lippen entfernt hatte. »Verzeihen Sie«, sagte sie rasch. »Ich hätte Ihnen besser ein Taschentuch reichen sollen.« Ihr Blick bekam nun den Grad an Distanziertheit, den er brauchte, um seine Haltung zu bewahren. Doch die Anziehungskraft, die zwischen ihnen zu spüren war, ließ sich nicht mehr verleugnen.
     
    Sie gingen langsam, Albert in ihrer Mitte. Dunkle Wolken trieben über den Himmel und verdeckten den Mond. Die Glocken der Stadtkirche schlugen Mitternacht. Hufeland war es, als folge ihnen die Schwärze der Nacht, je weiter sie sich seinem Haus näherten, desto dunkler wurde es.
    Während Helene mit Albert in der Kammer wartete, in der vor ihrer Abreise Minchen geschlafen hatte, weckte Hufeland Caspar und wies den Knecht an, vor der Tür Wache zu halten.
    »Es handelt sich um einen Freund der Familie«, erklärte er rasch und bat sich mit größtem Nachdruck aus, Stillschweigen über diesen Gast zu bewahren, dann betrat er die Kammer und schloss die Tür fest hinter sich.
    Albert, der die ganze Zeit über ins Leere gestarrt hatte und das Bett wie einen Thron besetzt hielt, begann nun, den Kopf zu wiegen.
    Helene saß neben ihm, hielt seine Hand und betrachtete ihn. Ihr zärtlicher Blick hatte beim genaueren Hinsehen auch etwas Sezierendes, als beobachte sie ein Insekt, das sich in einem verkorkten Glas befand. »Wer mag ihn so zugerichtet haben?«
    Hufeland setzte sich auf die gegenüberliegende Bettkante. »Es sieht nach Folter aus. Doch solche Methoden werden auch in Irrenhäusern angewandt. Die verbrannte Haut auf Schädel und Nacken zeugt von der Verwendung des Glüheisens, anders kann ich mir seine Narben nicht erklären.«
    Helene stöhnte auf. »Werden Sie ihm helfen können?«
    »Ich muss gestehen, dass ich derartige Nervenkrankheiten noch nie behandelt habe. Nur die Hysterie und die Melancholie. Ich habe viel darüber gelesen, doch die herkömmlichen Methoden |312| scheinen mir roh und einzig zum Zweck erdacht, Tobende ruhigzustellen. Das alleine kann natürlich nicht unsere Aufgabe sein.« Er runzelte die Stirn. »Es scheint mir, als habe er Dinge erlebt, die seinen ehedem gesunden Geist in andere Welten flüchten ließen. Mein Bestreben wird es sein, den Verstand hervorzulocken und ihm wieder Zutrauen zu geben.«
    Es klang so einfach. Nur wusste er nicht, wie er das anstellen sollte. Die Zeiten waren unruhig, eine medizinische Theorie löste die andere ab, keine schien Bestand zu haben, und war sie noch so gut durchdacht. Brown empfahl Laugensalze oder Opium, doch das würde die Symptome nur mildern, nicht heilen. Vor Jahren noch hätte er Brown zugestimmt, der sich gern als Newton der Medizin verstand und Krankheiten anhand von Erregbarkeiten einteilte, als könne man sie gleich einer Ware wiegen. Aber die Theorie erwies sich als unhaltbar. Auch der allseits empfohlene Aderlass wäre sinnlos und gefährlich. Ein Nervenaffekt stand mit dem Blut in keinerlei Zusammenhang.
    Er selbst hatte inzwischen die Erfahrung gemacht, dass es keine alleinige Methode gab, die heilte. Jeder Patient schien eine andere zu verlangen, gab man einem ein erfolgreiches Mittel, mochte es beim anderen mit derselben Erkrankung versagen.
    Hufeland befeuchtete ein sauberes Tuch mit der Tinktur der Ringelblume, dann begann er behutsam, über die schlecht verheilten Wunden am Schädel zu streichen, an der Stirn und am Kinn.
    Plötzlich kam Bewegung in Albert. »Diese verfluchten Schatten«, murmelte er und versuchte, mit spitzen Fingern etwas zu erhaschen, das sich vor ihm befinden mochte, während er ganz nach hinten rutschte und sich gegen die rückwärtige Wand presste.
    Sein ganzer Körper verkrampfte sich, Arme und Beine in unnatürlicher Haltung verrenkt, die Kiefer fest aufeinandergepresst. Er begann zu zucken und mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen. Dabei rang er unablässig die Hände, stieß unvermittelt ein beinahe unmenschliches Brüllen aus, tief und kehlig. Es war so laut, dass man es durch die geschlossenen Fenster bis auf die Straße würde hören können. Helene wich zurück.
    |313| Hufeland sprang auf und rief nach Caspar, der mit angespanntem Ausdruck hineinkam,

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