Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
bis zum Mondwechsel nicht nachkam, würde er dessen Aufgaben wieder an Martin übertragen. Noch hatte Johann es in der Hand. Doch es schien nur eine Frage der Zeit, bis sie auch ihn aus dem Diesseits entfernen mussten.
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JENA
12. MAI 1793
Sein erster Weg führte Hahnemann in die Akademische Buchhandlung, die auch medizinische Schriften verlegte. Es könnte nicht schaden, wertvolle Kontakte zu knüpfen, von denen er erzählen würde, sollte Henriette ihn zum Grund seines Aufenthaltes in Jena befragen. Er hoffte, den Verleger Carl Wilhelm Ettinger persönlich anzutreffen, der mit der einundsiebzigbändigen Edition der
Œuvres complètes de Voltaire
Furore gemacht hatte. Doch als er die Buchhandlung betrat, die in einem alten Gewölbe im Torbogen des Kollegienhauses am Nonnen Plan lag, stand ein junger Mann hinter dem Ladentisch. Er war mit einem Älteren im Gespräch, dessen an der Schläfe dreifach gelockte Perücke wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten wirkte.
Hahnemann wartete und sah sich um. Raumhohe Bücherborde mit kunstvoll beschrifteten Einbänden in rotem, blauem und schwarzem Leder, Regale voll gestapelter Hefte, aus denen kleine Zettel heraushingen wie Fähnchen. Er entdeckte eine seiner Übersetzungen und fühlte sich augenblicklich in diesem Geschäft zu Hause, doch es fehlte ihm die Geduld, und so begann er, von einem Bein aufs andere zu treten und ausgiebig zu hüsteln, bis sich der Bursche ihm endlich zuwandte.
»Ist Herr Ettinger zugegen?«
»Oh, nein. Der Herr Verleger ist ein vielbeschäftigter Mann. Zur Zeit befindet er sich in Gotha, wo er ebenfalls einen Verlag führt.«
Hahnemann versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. Ob er ihm denn sagen könne, wann er anzutreffen wäre, er werde noch einige Tage in Jena bleiben und könne gern noch einmal wiederkommen.
Der junge Mann antwortete mit der Überheblichkeit eines Burschen, |321| der täglich derlei Anfragen bekam. »Nein, das kann ich nicht. Aber wenn Sie es wünschen, dann kann ich gern eine Nachricht hinterlegen.«
»Vielleicht später«, sagte Hahnemann misslaunig. »Dann können Sie mir aber gewiss sagen, wo ich den Professor Gruner antreffe?«
»Sicher.« Der Bursche ordnete ein paar Papiere, die auf dem Tresen vor ihm lagen, bevor er fortfuhr. »Sie können das Vorlesungsverzeichnis erwerben, dort stehen alle Orte, an denen er für gewöhnlich doziert.«
»Danke«, sagte Hahnemann verärgert. Das ließe sich gewiss auch in Erfahrung bringen, ohne dafür zu bezahlen.
Ohne weiteren Gruß verließ er das Geschäft. Der ältere Herr mit der altmodischen Perücke kam ihm nach und sprach ihn an.
»Verzeihen Sie meine Neugier. Ich habe gehört, dass Sie nach Professor Gruner fragten.« Er verdrehte die Augen. »Die Jugend ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Zu meiner Zeit hätte man dem Burschen wegen dieser Unverschämtheit auf die Finger geschlagen, aber hier in dieser Stadt buckeln sie vor diesen Kerlen, weil sie Geld einbringen und weil die Bürger glauben, dass Jena ohne Universität ein seelenloses Provinznest sei. Sie hätten erleben sollen, wie es noch vor wenigen Jahren zuging! Sie hätten augenblicklich kehrtgemacht und diese Stadt verlassen, derart roh waren die Sitten. Doch, dem Himmel sei Dank, der Allmächtige hatte ein Einsehen und gab den Herren vom Geheimen Consilium zu Weimar den Verstand, einzugreifen und die geheimen Orden zu verbieten. Können Sie sich vorstellen, dass man über Jahre Verbindungen duldete, in denen man andere Gesetze lehrte als die unseres Landes? In denen man befugt war, einen Meineid zu schwören, damit man sich nicht gegenseitig verriet?«
Hahnemann stöhnte. Wieder so ein Schwätzer, dessen Redefluss kaum zu stoppen war. »Und? Wissen Sie, wo ich den Professor Gruner finde?«
»Gewiss, er pflegt die Mittagszeit im Professorenclub zu verbringen, der sich in den hinteren Räumen des Gasthauses
Zur Rose
befindet.«
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»Drüben in der Johannisgasse. Nur wenige Meter vom Johannistor. Sie können es nicht verfehlen.«
»Ich danke Ihnen.« Hahnemann sah auf die Uhr am Turm der Kollegienkirche. Es war kurz vor zwölf. Er wünschte noch einen schönen Tag und wandte sich zum Gehen. Er war nur wenige Schritte gegangen, als ihm noch etwas einfiel. Rasch ging er zurück. »Kannten Sie einen Albert Steinhäuser?«
Der Mann wiegte den Kopf. »Albert Steinhäuser … Der Name ist mir geläufig. War das nicht der junge Student, den man bei einem
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