Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
als habe er gehofft, dass man ihn nicht brauchen würde. »Halten Sie seinen Kopf, ich bin gleich wieder da!«
Nur wenige Minuten später kam er wieder. Albert war inzwischen vom Bett gesprungen, sein Kopf mit Blut verschmiert, tobend und völlig außer sich. Er hatte begonnen, alles gegen die Wände zu werfen, was ihm in die Hände kam. Ein Stuhl, der nun zerschmettert auf dem Boden lag, eine Vase. Nun griff er nach der Öllampe, während Caspar laut fluchend versuchte, ihn daran zu hindern. Mit einem Satz war Hufeland bei ihm und hielt Albert am Arm.
»Helene«, rief er gegen das Brüllen an, das nun wie das Grollen eines angriffsbereiten Tieres klang. »Das Fläschchen! In meiner Gürteltasche.«
Helene, die sich in einem Winkel des Zimmers verborgen hielt, kam hervor und löste mit bebenden Händen das Fläschchen vom Bund.
»Flößen Sie ihm ein wenig davon ein.«
Sie tat, wie ihr geheißen, bemüht, die dunkle Flüssigkeit in Alberts Mund zu tropfen, während Caspar die Kiefer auseinanderbog. Doch immer wieder ruckte er den Kopf zur Seite, einmal biss er dem Knecht in die Hand. Erst als Hufeland ihm den Arm auf den Rücken drehte, gelang es ihr. In ihrem Entsetzen schüttete sie mehr in den Schlund, als nötig war, und rückte sogleich in den äußersten Winkel des Zimmers, am ganzen Leib bebend und ohne den Blick von ihrem Bruder zu wenden.
Es dauerte nicht lange, und Albert durchfuhr ein heftiges Zittern. Dann, als habe man ihm alle Kraft entzogen, sackte er auf den Boden und fiel augenblicklich in einen tiefen Schlaf.
Helenes Gesicht war blass. Ihre Hand krampfte sich um das Fläschchen. Hufeland löste es sanft aus ihrem Griff.
»Kommen Sie, Helene. Lassen Sie uns ins Freie gehen.«
Die Wolken hatten sich zurückgezogen, das fahle Mondlicht beleuchtete den Garten, umriss Bäume und Büsche. Das Rauschen des Wassers drang vom Mühlgraben durch die Ritzen der Stadtmauer.
Helene stand aufrecht, die Arme um den Körper geschlungen. |314| »Sie hatten recht mit dem, was Sie sagten, wir müssen ihn in ein Tollhaus geben. Und beinahe verstehe ich nun, dass man Wahnsinnige ankettet, um weiteren Schaden zu verhindern.«
»So etwas dürfen Sie nicht sagen. Er ist doch Ihr Bruder!«
»Ja, er ist mein Bruder. Aber Sie haben ja selbst gesehen, wozu er fähig ist.« Helene drehte sich um. Im Halbdunkel erkannte er, dass sie geweint hatte. »Manchmal ist die Sehnsucht nach etwas Vergangenem so groß, dass man beinahe vergisst, die Gegenwart zu leben. Aber wenn man das erkennt, ist es dann nicht besser, das Vergangene ziehen zu lassen?«
»Geben Sie mir ein paar Tage Zeit. Lassen Sie es mich zumindest versuchen, bevor wir entscheiden, wie es weitergehen soll.«
Er schaute sie an, spürte, dass sie sich einsamer fühlte als je zuvor. Und als in ihm der Wunsch aufkeimte, sie zu berühren, ihr den Halt zu geben, den sie nun brauchte, wurde ihm klar, dass ihm seine wohlgeordnete Welt langsam entglitt. Juliane, seine Karriere, all das schien plötzlich unwichtig.
Hufeland fühlte den lauen Abendwind, der sein Gesicht umstrich und ihn im Nacken kitzelte. Sie standen nah beieinander, schwer atmend, den anderen spürend, trotz des Abstands zwischen ihnen. Er wäre ein Narr, wenn er dem nachgeben würde. Und wäre es nicht auch sträflich, einem weiblichen Herzen Hoffnungen zu machen, die sich nicht erfüllen konnten? Hufeland straffte die Schultern und trat einen Schritt zurück.
Sie schien ähnlich zu denken, denn sie sah ihn mit strengem Blick an. »Christoph, ich möchte lieber doch nach Hause.«
Er begleitete Helene die Ober Lauengasse entlang zum unteren Markt. Sie gingen mit Abstand, darauf bedacht, sich nicht zu berühren. Vor dem Haus hielt sie inne, als wolle sie noch etwas sagen, dann öffnete sie die Tür und sah ihn unsicher an.
»Christoph?«
»Ja?«
»Passen Sie auf sich auf.«
Er nickte, blickte ihr nach, als sie ohne ein weiteres Wort im Dunkel des Treppenhauses verschwand, und zog die Tür ins Schloss.
|315| 1
JENA, VOR DEN TOREN DER STADT
11. MAI 1793
Draußen fuhren die Windböen ums Haus. Der Mann hielt inne und lauschte dem singenden Geräusch, dann fuhr er fort, die Kerzen zu entzünden, die den Raum bald festlich erhellten.
Es ist so weit, dachte er und blies die Flamme des Schwefelholzes aus, die bereits nach seinen Fingern gierte. Nur noch wenige Tage, bis sein Plan sich erfüllte.
Er bebte voller Vorfreude und zündete eine neue Kerze an, ließ das Licht durch die Räume
Weitere Kostenlose Bücher