Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Student«, half Hahnemann nach.
»Sind Sie ein Verwandter?«
»Nein.«
»Ein Kommissar, ein Staatsdiener?«
»Nein.« Hahnemann ärgerte sich, dass er den Brief des Vaters hatte liegen lassen, den er so trefflich gefälscht hatte. »Aber ich bin Arzt, und das Schicksal des Jungen liegt mir am Herzen.«
»Dann wüsste ich nicht, was Sie das angeht.«
»Sie weigern sich, mir Auskunft zu geben?«
»Ja.«
»Na schön, dann werde ich die anderen Herren dazu befragen, vielleicht sind diese gesprächiger.«
»Nur zu!« Gruner lehnte sich gelassen zurück und verschränkte die Arme.
Hahnemann sprang auf und drehte sich abrupt in den Raum. Dabei rempelte er beinahe einen hochgewachsenen Mann mit gebeugtem Rücken um. Er entschuldigte sich hastig, stellte sich in die Mitte des Raumes und bat um Ruhe, und als ihn niemand beachtete, |325| stieg er auf einen der Tische und klatschte laut in die Hände.
»Meine Herren, ich bitte um Ruhe!«
Sofort wurde es still. Eine Vielzahl von Augenpaaren war auf ihn gerichtet. Gruner beugte sich vor, sein Gesicht war heiß gerötet, die fleischigen Lippen zu einem vagen Ausdruck der Empörung verzogen. Einer der Kellner sprang vor, um Hahnemann vom Tisch zu ziehen, doch der schüttelte ihn ab.
»Mein Name ist Samuel Hahnemann. Ich bin Arzt, Forscher und Übersetzer unzähliger medizinischer Bücher, dazu der Verfasser von Schriften, die Sie gewiss auch Ihren Studenten zu lesen geben. So stammt von mir
Über die Arsenikvergiftung, ihre Hülfe und gerichtliche Ausmittelung
, um nur eine der zahlreichen zu nennen. Ich habe Ihren Kollegen Gruner in einer dringlichen Angelegenheit um vertrauliche Auskunft unter Kollegen gebeten, und da er sie mir verweigert, sehe ich mich nun gezwungen, sie von Ihnen zu erbitten. Es geht um einen ehemaligen Studenten dieser Universi…«
»Sie sind ein Narr!«, rief Gruner und sprang, begleitet von verhaltenem Gelächter, auf. »Kommen Sie schon, ich sage Ihnen, was Sie wissen wollen.«
Er ging zu zwei Stühlen, die ein wenig abseits standen. Hahnemann folgte ihm.
»Was in aller Welt sollte das?«, brummte Gruner, während er schwerfällig Platz nahm.
»Sie haben mir keine andere Wahl gelassen.« Hahnemann lächelte höflich und setzte sich ihm gegenüber. An ihm würde sich Gruner die Zähne ausbeißen. »Also noch einmal: Was wissen Sie über Albert Steinhäuser?«
»Das ist lange her, und ich sage es Ihnen gern noch einmal nachdrücklicher: Es geht Sie nichts an.«
»Oh, das geht mich eine Menge an, und ich werde Ihnen gleich verraten, warum. Doch zunächst möchte ich erfahren, was Sie über ihn wissen.«
Gruner verschränkte die Arme. »Abgesehen davon, dass ich Ihre Art, sich Gehör zu verschaffen, als äußerst unangemessen empfinde |326| und ich mir noch überlegen werde, Sie dafür zur Rechenschaft ziehen zu lassen, werde ich Ihre Neugier befriedigen. Nur dass Sie endlich Ruhe geben. Zu jener Zeit, als Albert Steinhäuser Student der Medizin war, war das Klima unter den Burschen rau. Alles Hohlköpfe, die Streit und Unfrieden nicht mit geschliffenem Wort beizulegen mochten, sondern mit dem Degen aufeinanderlosgingen. So kam es, dass eines Tages auch Steinhäuser in ein Duell verwickelt wurde. Der arme Teufel hat es nicht überlebt.«
»Erklären Sie mir dann bitte, wie es sein kann, dass ich ihn nur wenige Meilen entfernt in einer Leipziger Irrenanstalt fand.«
»Das ist unmöglich, Sie müssen sich irren.«
»Nein, ich war mir noch nie so sicher. In den Papieren stand Ihr Name als einliefernder Arzt.«
»Mein Name?« Gruners Hals schwoll an. Die buschigen Augenbrauen zuckten. »Das ist ja lächerlich!«
»Ich bitte Sie, ersparen Sie uns die Quälerei. Ich halte Sie ein letztes Mal an, mir Rede und Antwort zu stehen, oder wollen Sie, dass ich wieder auf den Tisch steige?«
Gruner hob abwehrend die Hand. »Verdammt, treiben Sie es nicht zu bunt!« Dann fuhr er mit leiser Stimme fort, während er sich mit einem Taschentuch den Schweiß abtupfte, der auf seiner Stirn perlte. »Wenn ich nur ein Wort von dem, was ich Ihnen nun erzähle, aus dem Mund eines anderen höre oder gar in einer Zeitschrift lese, dann gnade Ihnen Gott! Meine Verbindungen reichen weit, ich könnte Sie mit einem Schlag vernichten und Ihre doch recht hoffnungsvolle Karriere beenden. Ich habe im Übrigen Ihre
Gerichtliche Ausmittlung der Arsenikvergiftung
gelesen und sie für überaus hilfreich und zuverlässig befunden. Ihre wissenschaftliche Ausrichtung und Ihr
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