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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Zwiefalten abgereist waren. Menschen, die die heilige Ruhe des Klosters störten. Es war weit nach der Komplet, als Priorin Agnes sie rufen ließ, trotz der Schweigepflicht, die nun herrschte. Die anderen lagen längst auf ihren Matten im Dormitorium, aber sie selbst brauchte nur wenig Schlaf. Es war ihre Zeit. Die Zeit, in der sie ungestört durch die Gänge gehen konnte, ins Gebet versunken. Aber nicht heute.
    Das leise Klopfen des Stabes veränderte seinen Klang. Ida hielt inne und tastete nach dem Knauf, der die Tür öffnete.
    »Tritt ein, Schwester Ida«, hörte sie Priorin Agnes sagen.
    »Ihr habt mich rufen lassen?« Ida erhob die Nase, aber der zarte Duft, den sie vernahm, war süß und rein und machte den ranzigen Geruch der Kerzen aus Schafsfett erträglich, die trieften und stanken.
    »Komm näher.«
    Ida trat ein paar Schritte vor, bis der Atem der Anwesenden lauter wurde. Es waren ein Mann und eine Frau, der Duft kam von der Frau. Aber der Mann verriet sich durch sein Atmen. Es war schwerer und tiefer. Der Mann musste groß sein und stattlich, ja, so atmeten nur große Menschen.
    »Wir haben Gäste?«
    »Clemens von Hagen, Kanonikus von St. Stephan in Mainz, und eine junge Frau, die um susceptio , um Aufnahme bittet.«
    Ida trat einen Schritt in die Richtung, in der sie die Frau vermutete, und hob suchend die Hand. Die Frau war nicht sehr groß.Flüchtig strich sie über lange Haare, die in sanften Wellen herabfielen.
    »Ich bin Elysa.« Die Stimme klang schön und warm, doch nicht so jung, wie man es von einer Anwärterin erwartete. Der Klang verriet die Tonalität der gehobeneren Schichten, die Aussprache war deutlich. Der feste Ausdruck ließ Ida zweifeln, ob Elysa die gebotene Schamhaftigkeit in der Rede würde lernen können, aber es stand ihr nicht zu, bereits in diesem Moment ein Urteil zu fällen.
    »Du wirst die Anwärterin zunächst in ihre Zelle im Gästehaus führen«, fuhr die Priorin fort. »Nach vier Tagen, wenn sie sich im Kapitelsaal niedergeworfen und ihre Bereitschaft zur Einhaltung der benediktinischen Regel erklärt hat, teilst du der Handwerkstochter eine Novizinnenzelle zu. Und nun fort – ich habe mit dem Kanonikus zu sprechen.«
    Ida eilte voran, den Stab in ständiger Bewegung. Hatte die Priorin tatsächlich Handwerkstochter gesagt? Eine Handwerkstochter klang anders, selbst wenn sie im Dienste des Adels stand. Sie wird sich den Ausdruck der höheren Töchter angeeignet haben. Eitel war die junge Frau, das hatte Ida sogleich am feinen Duft erkannt. Eitel und unfähig, sich ihrem Stand gemäß zu verhalten.
    Verärgert schüttelte sie den Kopf. Nichts war mehr, wie es einmal war. Früher konnte man bereits am Geruch erkennen, wer wohin gehörte. Heute hingegen gab es auf den Märkten in den Städten allerlei Dinge zu kaufen, die die natürlichen Grenzen verschwimmen ließen. Ja, es konnten sogar einfache Menschen durch Fleiß zum Adel aufsteigen, sie nannten sich hochmütig Ministerialen, aber für Ida war es einfach nur der Dienstadel.
    Die Zeiten hatten sich geändert. Früher, als Hildegard das zerstörte Augustinerkloster für dreißig Benediktinerinnen hatte herrichten lassen, waren Ministerialen und niedere Stände die Ausnahme, heute hingegen die Regel. Und das war nicht gut, dennwo Zucht und Ordnung fehlten und die Sitten verrohten, öffnete man dem Bösen alle Pforten!
    Und außerdem: Welcher Mensch sammelt seine ganze Herde in einem einzigen Stall, Ochsen, Esel, Schafe, Böcke, ohne dass sie auseinanderlaufen? Aber die Rupertsberger Meisterin hatte es dennoch getan, als sie hier in Eibingen alle Stände zuließ.
    Ida ging festen Schrittes voran, dann und wann lauschte sie, ob die Anwärterin ihr folgte. Als sie unter freiem Himmel den Kreuzgang durchquerten, glaubte sie, hinter dem Schleier ihrer Augen sanftes Mondlicht wahrzunehmen, das sich durch die Wolkendecke geschoben hatte. Und für einen kurzen Moment meinte sie, der schlechte Wind würde innehalten, bevor er mit unverminderter Kraft anhob.

4
    L autes Klopfen ließ Elysa hochschrecken. Die Zelle war dunkel, es musste noch Nacht sein. Die Kerze, die sie gestern Abend hatte brennen lassen, war erloschen. Und auch durch das geölte Pergament, das als Schutz vor der Kälte in einem Holzrahmen vor die Fensteröffnung gestellt war, drang noch kein Licht. Elysa zog die grobe Decke um ihren Körper und setzte sich auf. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit.
    Die Tür öffnete sich, und eine kleine

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