Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
einen rotglühenden Schürhaken zwischen die Hinterbacken rammen.«
Ein Aufschrei des Entsetzens schallte durch den Raum, aufgeregtes Gemurmel erhob sich. Der monströse Penis war kein Thema mehr, die Vorstellung, bei lebendigem Leibe begraben oder gar seziert zu werden, löste allgemeines Entsetzen aus. Professor Loder hob beschwichtigend die Hände.
»Ich bitte Sie eindringlich, nicht allen Schauergeschichten zu glauben, die im Stile eines Monsieur Bruhier verfasst wurden, der nicht davor zurückschreckt, selbst Ammenmärchen als Tatsachen |84| zu verkaufen. Man sollte doch schon sehr am gebildeten Verstand des Verfassers zweifeln, der vornehmlich in Trance verfallene Schönheiten wiedererwecken lässt, die nach der glücklichen Rettung noch sechsundzwanzig Kinder gebären.« Vereinzeltes Gelächter erhob sich. Professor Loder mahnte zur Ruhe. »Diese Art Zustände sind nicht häufig anzutreffen, und die Gefahr des Scheintods ist eine geringe.«
»Aber sie ist doch gegeben!« Der Zwischenruf kam von einem der älteren Studenten. »Meinem Vater wurde im vergangenen Jahr eine große Menge Blut entzogen, mehrmals am Tag, woraufhin er sein Leben ausgehaucht zu haben schien. Wir waren uns seines Verscheidens sicher, bestellten einen Priester. Doch als dieser ihn mit Weihwasser besprengte, kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück und er öffnete die Augen.«
Das Stimmengemurmel wurde wieder lauter, nur mit Mühe gelang es dem Professor, die Studenten zu beruhigen.
»Ich möchte doch vor allzu voreiligen Spekulationen warnen«, sagte er laut. »Es ist eine vermeidbare Problematik, und Sie, verehrte Studenten, können zukünftig mit Ihrer Arbeit dazu beitragen. Durch Aufmerksamkeit und Menschlichkeit. Auch mir wurde von äußerst misslichen Zuständen in einem Spital berichtet, in dem aufgrund des Bettenmangels Sterbende bereits vor ihrem Tode eingesargt wurden. So etwas ist entsetzlich und gehört unter Strafe gestellt. Ohnehin darf sich kein Arzt auf fehlende Atembewegungen oder nicht vorhandenen Puls verlassen. Allein die Verwesungszeichen und das Erscheinen bläulicher Flecken sind sichere Anzeichen, dass die betreffende Person verstorben ist.«
Hufeland wurde heiß und kalt zugleich, als ihm ein grauenvoller Gedanke kam. »Aber im Allgemeinen werden Verstorbene bestattet, noch bevor sich diese Zeichen bilden.« Er sah zu Vogt hinüber, der erblasste. Er denkt dasselbe, dachte Hufeland, er denkt an Albert.
»Ja, so ist es üblich. Aber die Priester und Totengräber sind in diesen Dingen geübt.« Professor Loder zögerte. »Doch in der Tat, es mangelt an Bestimmungen, die es nur Ärzten erlauben, Tote zur Bestattung freizugeben, um ein Missgeschick sicher auszuschließen.«
|85| Hufeland versuchte, sich zu erinnern: Die Degenspitze, die Lohenkamp am Hemd des Gefallenen abwischte, war blutig gewesen. Aber wo hatte Lohenkamp ihn getroffen? In den Rücken? Hatte er die Lunge getroffen? Oder war es nur das Blut der verletzten Hände und Arme? Hufeland sah noch einmal Alberts Körper wie leblos am Boden vor sich, als Lohenkamp nachtrat. Ludwig Gerstel, der sich schluchzend über ihn beugte, nachdem Lohenkamp verschwunden war. Und dann? Was war dann geschehen?
Hufeland sprang auf, stieß seine Befürchtungen hervor: »Wurde Albert Steinhäuser von einem Arzt untersucht, bevor er zu Grabe getragen wurde, kaum dass ein Tag vergangen war?«
Das Unbehagen wurde größer, je näher sie dem Friedhof kamen. Hufeland würde es sich niemals verzeihen, nicht geblieben zu sein, als Albert am Boden lag. Er hätte bei ihm ausharren müssen.
»Es ist schon zu viele Tage her«, rief Vogt im Laufen. »Selbst wenn unsere Befürchtungen der Wahrheit entsprechen, wird er den Luftmangel nicht überlebt haben.«
»Wir müssen es versuchen, Johann!« Hufeland stolperte voran, durch das Johannistor, am Pulverturm vorbei in Richtung Friedhof. Seine Brust schmerzte ob der ungewohnten Anstrengung, doch die Furcht trieb ihn voran. Die hohe Mauer entlang, am vergitterten Verschlag vorbei, in dem die Leichenwagen standen, bis hin zum Tor. Es war verschlossen.
»Rasch, wir klettern hinüber!« Vogt stemmte sich hoch und schwang die Beine über die Eisenstäbe.
Hufeland, der seine Kindheit mit dem Lesen von Büchern, dem Schreiben von Geschichten und dem Sammeln von Mineralien, nicht aber mit körperlicher Ertüchtigung verbracht hatte, blieb unschlüssig stehen.
»Nun komm schon!«
Umständlich hangelte sich Hufeland über das Tor,
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