Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
kurz, dann gewann seine Wut wieder Oberhand. Wie hatte sie ihm das antun können! Eine Hochzeit hätte ihn von allen Sorgen befreit. Meschkat hätte noch am Altar den Schuldschein zerrissen und das Leben hätte seinen vorgesehenen Lauf nehmen können. Nun war alles anders.
Er stieß einen Fluch aus, während er auf die Straße stolperte. Dieses fette, stinkende Schwein! Roch, als würden hundert Brech- und Abführmittel ihn nicht von seinem innersten Übel befreien können, das da hieß: Gier. Wie seine Augen gefunkelt hatten, als er von der Rezeptur sprach. Steinhäuser hatte dieses Glitzern bereits gesehen, als sie im Salon Karten gespielt hatten. Das hätte ihm Warnung genug sein müssen.
Er atmete tief durch. Die kühle Luft war ihm eine Wohltat. Ohne sich noch einmal umzudrehen, machte er sich auf den Weg zur Apotheke. Heute würde er das fertige Marzipankonfekt für die Festgesellschaft ausliefern und endlich genügend Geld erhalten, um es seinem Sohn Albert anzuweisen. Sein Brief hatte Schlimmes ahnen lassen, aber er hatte nicht die Mittel gehabt, ihn zurückzuholen. Nun würde er einen Eilboten entsenden, rasches Handeln |77| war geboten. Albert musste unverzüglich nach Hause kommen. Albert und mit ihm die Rezeptur.
Er blickte sich um. Hinter ihm gingen ein Handwerker und eine Frau mit stark gewölbtem Bauch. Dahinter sah er einen jungen Mann, der sich nun hastig abwandte. Steinhäuser beschleunigte seine Schritte. Er musste aufpassen, dass Meschkat ihm nicht auflauerte, um selbst an die Rezeptur zu gelangen. Es war ihm zuzutrauen.
Seine Schritte hallten durch die Gassen, er sah nicht die Passanten, die sich verwundert nach ihm umdrehten. Als er in die Münzgasse einbog, erkannte er Mechthild, die vor der Apotheke stand, offenbar beunruhigt, in der Hand einen Brief. Doch erst, als sie ihm diesen wortlos entgegenstreckte, verstand er, was sie so bestürzte: Das Siegel, das den Brief verschloss, war schwarz.
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JENA
3. OKTOBER 1780
Die vergangenen Tage erschienen Hufeland wie in einen finsteren Dunst gehüllt. Die Beisetzung Albert Steinhäusers hatte bald stattgefunden, noch bevor der Regen die letzten Blutspuren vom Pflaster gewaschen hatte. In aller Eile und ohne Beteiligung von Studenten. Man habe einen Tumult unter den gegnerischen Landsmannschaften vermeiden wollen.
Der Mörder Carl Lohenkamp war noch am selben Tag aus der Stadt verschwunden und so der Karzerhaft entgangen. Es hieß, er habe noch nicht einmal seine Kammer geräumt.
Was Hufeland schwermütig werden ließ, machte seinen Kommilitonen Johann Vogt wütend. Man hätte die Familie benachrichtigen müssen, damit sie beim Begräbnis anwesend sein könne, hatte er Hufeland geklagt. Oder zumindest den Leichnam überführen. Es ginge auch nicht an, dass man den Freunden verwehrte, Abschied zu nehmen. Er hatte die Faust geballt, sie drohend in Richtung Rathaus geschüttelt und seinen Tränen freien Lauf gelassen.
So blieb ihnen nur noch, einen Fackelzug für den verlorenen Kameraden zu veranstalten, dem sich Hunderte Studenten anschlossen. Der Marsch hatte auf dem Marktplatz geendet, mit Lärm und eingeworfenen Fensterscheiben, und zu eben dem Tumult geführt, den man zu vermeiden suchte.
Dann war der Alltag zurückgekehrt. Der Wind hatte begonnen, die Blätter von den Bäumen zu tragen, und die Studenten zog es nach draußen vor die Stadt, um in den letzten sonnigen Tagen der Jagd nachzugehen oder sich im Wettreiten zu messen.
Gerade als Hufeland dachte, er könne die furchtbaren Bilder vergessen, war er eines Nachts hochgeschreckt, in Schweiß gebadet. Er hatte sich die Augen gerieben und sogleich gewusst, was ihm |79| den Schlaf geraubt hatte: Ungereimtheiten, die sich im Labyrinth seiner Gedanken verfangen hatten und lauter Fragen zurückließen.
Der Hannoveraner Carl Lohenkamp hatte die Taschen des Erstochenen durchwühlt, warum? Und warum hatte jemand die Polizei angekündigt, obwohl keine kam? War es Ludwig Gerstel gewesen? Was hatte dieser gemeint, als er über Albert kniete und schrie, es sei seine Schuld?
Hufeland selbst hatte Albert und den trauernden Ludwig an jenem unglücklichen Abend zurückgelassen, war kopflos durch die leeren Gassen gerannt, weil er das Unglück nicht ertragen konnte.
Wie lange hatte Albert dort gelegen, bis die Polizei gekommen war? War sie überhaupt gekommen? Oder hatte man die Sache der Gerichtsbarkeit der Universität überlassen?
Hufeland hatte in dieser Nacht noch eine Weile wach gelegen
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