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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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hatte man schließlich den Hofmeister Restel bestellt, der ein strengerer Zuchtmeister war. Das fröhliche, ungezwungene Leben hatte jäh ein Ende gefunden; stattdessen begann sein Tagesablauf fortan um sechs Uhr früh und endete gegen zehn Uhr am Abend, wenn er dem gestrengen Hauslehrer das auswendig gelernte Pensum vortragen musste. Notfalls auch im Stehen, wenn ihn die Müdigkeit übermannte.
    Hatte er sich anfänglich gegen diese drakonische Erziehungsmethode gewehrt, so wurde ihm bald klar, dass es ihm nicht gegeben war zu widersprechen oder gar zu diskutieren. Doch wäre er ohne diese stille, strenge Erziehung, ohne die wohlgesetzten Schläge bei Übertretungen, ohne die Gegenwart dieses ernsten Mannes so geworden, wie er heute war? Was, wenn man den ehedem trotzigen, starrsinnigen, zu Müßigkeit und Sinnlichkeit neigenden Jungen nicht mit Gewalt gebrochen hätte?
    Hufeland seufzte. Und nun hatte er erneut Unfug getrieben, als er zum Friedhof gelaufen war, um ein Grab zu öffnen. Nein, es war kein Unfug gewesen, es war unentschuldbarer Frevel.
    In diesem Augenblick brach der Mond durch die Wolken und erhellte die Grabsteine der wohlhabenden Bürger, die sich in ihrer Pracht überboten. Dort hinten ein Sarkophag, reich mit Ornamenten verziert. Ihm gegenüber ein Denkmal, überladen mit Symbolen und allegorischen Figuren: dem unvermeidlichen Janus mit Sense, dazu Statuen der Fruchtbarkeit und Sanftmut, im Hintergrund drei Engel mit demütig gesenktem Gesicht.
    |91| Wind stob um das Gebäude, wirbelte braungelbe Blätter vom Boden, setzte sie ihm auf die Füße. Er glaubte, ein Wispern zu hören, eine Stimme, die seinen Namen rief. Es war der Wind, dachte Hufeland, die Angst schürt die Einbildung. Schaudernd schüttelte er die Blätter ab.
    Vogt setzte sich zu ihm, in der Hand eine offene Flasche. Neben ihm die Laterne, die nun ihr flackerndes Licht über den Weg warf. Eine Weile saßen sie schweigend und beobachteten, wie die Blätter über den Boden jagten.
    »Erzähl mir von Albert«, bat Hufeland schließlich leise.
    »Albert …« Vogt sah ihn an, verzog den Mund zu einem missglückten Lächeln. »Albert war ein ebenso großer Moralist wie du.« Er überlegte, korrigierte sich. »Nein, nicht ganz so arg, mit dir wird es wohl niemand aufnehmen.«
    »Das war nicht immer so. Als Junge habe ich die Hoffnungen meiner Familie auf eine Arztkarriere ihres Sohnes mit allerlei Torheiten ins Wanken gebracht.«
    »Du?« Vogt zog seine Pfeife hervor und entzündete sie an der Laterne.
    »Ja.« Hufeland lehnte sich zurück. »Eines Tages hatte ich beschlossen, meine Schwestern mit einem Phosphorzauber das Fürchten zu lehren. Ich hatte gelesen, dass sich in alten Zeiten Mönche dieses Mittels bedienten, um Gespenster zu spielen und den Aberglauben zu erhalten.« Er griff nach der Flasche, trank einen kräftigen Schluck des Messweins und dann, beinahe trotzig, noch einen. »Und so schlich ich eines Nachts mit einem Stückchen Phosphor aus der väterlichen Hausapotheke zu den schlafenden Mädchen, um an die Wand mit großen leuchtenden Buchstaben ›Ihr bösen Mädchen, bessert Euch‹ zu schreiben.«
    Vogt kicherte und sog an seiner Pfeife. »Und? Haben sie sich gefürchtet?«
    »Ja. Aber nicht wegen der Schrift. Ich hatte nicht mit der Kraft des Phosphors gerechnet. Noch während ich schrieb, entzündete sich der Stoff an meinen Fingern und wurde zur Flamme. Schreiend hielt ich meine Finger in ein Glas Wasser, doch der Phosphor ließ |92| sich nicht löschen und brannte bis auf die Knochen. Drei Wochen hatte es gedauert, bis der Schmerz erträglich wurde und das rohe Fleisch vernarbte.« Er streckte Vogt die rechte Hand hin, auf der noch immer schwulstige Narben zu sehen waren. »Der herabgetropfte Phosphor selbst leuchtete noch weit länger auf dem Holzboden, und erst als er endgültig verlosch, verlor sich auch die Angst, er könne sich entzünden und das ganze Haus in Brand setzen.«
    »Erstaunlich!«
    Hufeland sah zu Boden. »Erzähl mir mehr von Albert. Glaubst du, er hat Ludwig Gerstel ermordet?«
    »Du denkst, Albert lebt noch?« Vogt sah ihn überrascht an.
    »Ich weiß es nicht. Er lag am Boden, regungslos. Selbst als Carl Lohenkamp nachtrat.« Sie schwiegen.
    »Albert würde so etwas nie tun«, sagte Vogt schließlich. »Er war ein feiner Bursche.« Er zögerte kurz und fuhr dann leise fort. »Albert wollte zurück nach Königsberg. Er hatte Angst.«
    »Angst? Wovor?«
    Vogt nahm die Flasche und trank. Dann

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