Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
es denn Wichtigeres geben als die Predigt?« Er tat, als würde er nachdenken, dann schnippte er mit den Fingern. »Ach ja, ich entsinne mich. Eine Epidemie?« Nun war es an ihm, vorwurfvoll zu gucken. »Ihr |102| Eifer in Ehren, Hochwürden, doch in diesen Tagen erschien es mir wichtiger, mich um die Kranken zu kümmern als ums Gebet.«
»Ohne Gottes Hilfe wird auch der noch so wohlbehandelte Kranke nicht gesunden.«
Hahnemann seufzte. Es war besser, sich nicht mit dem Pfarrer anzulegen. Er suchte nach einem Löffel und kratzte den Rest Suppe aus dem Topf. »Mich brauchen Sie nicht zu bekehren, ich bin bereits Christ«, sagte er.
»Das ist es, was mir Sorgen macht.« Ebers’ Stimme klang scharf.
Bedauernd legte Hahnemann den Löffel beiseite. »Wollen wir ins Arbeitszimmer gehen?«
Hinter dem schweren Schreibtisch fühlte er sich sicher, doch Pfarrer Ebers dachte gar nicht daran, ihm gegenüber auf dem Patientenstuhl Platz zu nehmen. Er blieb stehen und sah ihn von oben herab an.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie sich mit unchristlichen Praktiken beschäftigen?«
»Ich bin Pragmatiker, kein Scharlatan. Was ich tue, folgt den Gesetzen der Wissenschaft.«
»Geister zu rufen nennen Sie also wissenschaftlich? Ihre Methoden sind nicht besser als die der Betrüger, die den Menschen mit abenteuerlichen Flunkereien das Geld aus der Tasche ziehen.«
Hahnemann sprang auf. »Ich rufe weder Geister, noch bin ich ein Quacksalber, der sich die Leichtgläubigkeit der Kranken zunutze macht. Da sollten Sie sich besser an die Wanderheiler wenden, die ihre Medizin mit Beschwörungsformeln versalzen. Mein einziger Antrieb sind die Erforschung der Arzneikunst und das Mitgefühl für die Leiden der Menschheit.«
»Sie bedienen sich des tierischen Magnetismus. Wollen Sie etwa leugnen, dass das eine Heilmethode aus der Welt der Geister ist?« Pfarrer Ebers schlug mit der Faust auf den Tisch. Seine Augen glotzten wütend durch die dicken Gläser, und sein Gesicht hatte eine tiefrote Farbe angenommen.
»Das ist lachhaft!«, fuhr Hahnemann auf. »Aus Ihnen spricht Unwissen. Nur weil Sie die Prinzipien der Heilkunst nicht begreifen |103| können, nicht begreifen wollen, maßen Sie sich an, mir zu unterstellen, ein Geistervokateur zu sein? Glauben Sie etwa auch, ein Gewitter sei eine Strafe Gottes oder entstehe durch das Walten finsterer Mächte? Nein, Hochwürden, die Wissenschaft hat schon in so manchem Hokuspokus Naturgesetz erkannt. Sie sagen, ich beschwöre Geister? In hundert Jahren lachen wir über derartige Vorstellungen.« Seine Augen verengten sich vor Wut. »Der Mensch neigt dazu, sich vor Dingen zu fürchten, die er nicht begreift. Aber glauben Sie mir, unter Gottes Himmel gibt es nicht viele Ärzte, die ihren Beruf mit ähnlicher Gewissenhaftigkeit betreiben, wie ich es tue.«
»Wollen Sie etwa behaupten, auch der Teufel sei Teil der Naturgesetze?«
»Der Teufel nicht. Aber vieles von dem, was man mit seiner Gegenwart erklärt.«
»So sind Sie uneinsichtig. Aber ich werde nicht dulden, dass Sie Ihre unchristliche Behandlungsmethode zu einem Forschungsgegenstand erheben!« Pfarrer Ebers wandte sich um und rief nach Agnes, die ins Patientenzimmer trat, als hätte sie ihren Auftritt hinter der verschlossenen Tür erwartet.
»Agnes, erzählen Sie, was Sie erlebt haben.«
Agnes blickte an Hahnemann vorbei. »Ich …« Ihre Stimme zitterte. »Der Herr Doktor hat mich geheilt.«
»Erzählen Sie, wie er es getan hat.«
»Ich verstehe nichts von diesen Dingen.«
»Dann werde ich es für Sie tun.« Er trat ganz nah an Hahnemann heran. So nahe, dass dieser seinen bitteren Atem riechen konnte. »Sie haben sich der Magnetkur bedient, die sich rühmt, astrale Kräfte zu bündeln, die in einer Art Fluidum den Körper durchströmen. Sie haben diese unbescholtene Frau mit einem Ritual bedacht, das es finsteren Kräften ermöglicht, Besitz vom Körper zu ergreifen. Und sie hat zugegeben, dass es den Schmerz augenblicklich habe verschwinden lassen. Das ist in der Tat Dämonenwerk. Geisterbeschwörung. Ganz gleich, wie Sie es benennen.« Er kam noch näher, spie seine Worte aus. »Sie sind des Teufels! Und ich möchte |104| Sie bitten, nein, ich fordere Sie auf, diese Stadt unverzüglich zu verlassen.«
Damit drehte er sich um und ging hinaus.
Sofort eilte Agnes zu Hahnemann und sank vor ihm auf den Boden. »Das wollte ich nicht«, schluchzte sie. »Ich habe nicht gewollt, dass es so weit kommt.« Sie sah ihn mit
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