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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Ansteckung ausbrach, desto milder war der Verlauf, das hatte er bereits erkannt. Wenn der stumpfe Kopfschmerz, die Schwere der Glieder, der bittere Geschmack sich über Wochen hinzogen, bis die Krankheit sich durchsetzte, so konnte ein einziger Schweißausbruch das Ende des Leidens bedeuten, ansonsten genas man, wohlbehandelt, am siebten Tag. Auch ohne die Verwendung von Kanthariden- und Senfpflastern, mit denen man Krankheiten über die Haut zu entziehen hoffte, ohne Bitter- oder Glaubersalz.
    Anders war es jedoch bei den rasch und heftig Erkrankten und denen, die schlecht behandelt wurden. Diese fanden erst nach |100| zwanzig, dreißig Tagen Erleichterung. Viele starben, einige von ihnen, weil sie, obwohl er ihnen dringend davon abriet, auf den Aderlass bestanden.
    Hahnemanns Blick wanderte über das Tal, umrahmt von der Wipper und ihren Zuflüssen, über die hügelige Landschaft, bis hinüber nach Hettstedt, das nun seine Heimat war.
    Heimat … Hahnemann atmete durch und presste die Beine in die Flanken des Gauls, der seinen betulichen Gang nur widerwillig beschleunigte. Hettstedt war ein Ort voll ungezogener Weiber, deren Geschwätz die Ohren beleidigte, und stumpfsinniger Männer, die ihre Körper tagsüber im Kupferbergwerk vergifteten und sich nachts dem Weinbrandrausch hingaben. Es war unmöglich, zu ihnen durchzudringen und ihnen begreiflich zu machen, welches Verhalten zur raschen Gesundung führte.
    Am schlimmsten aber waren die wandernden Heiler, an denen man in den Dorfgemeinschaften auf aberwitzige Art festhielt, obgleich ihre Kunst oftmals vor allem darin bestand, mittelschwere Krankheiten in bösartige zu verwandeln.
    Dabei konnte er mittlerweile allein durch den Blick auf den Leib des Kranken, dessen Ernährung und die Mittel, die er nahm, um Krankheiten abzuwehren, sagen, ob die Saat der Ansteckung auf einen fruchtbaren Acker fallen würde. Ja, in diesen Wochen hatte er gelernt, mit Gewissheit vorauszusagen, ob in einem Hause wohl keiner oder alle sterben würden.
    Hahnemann gähnte. Sein Kopf sank auf die Brust, während der Gaul den Heimweg von allein fand. Das Wetter war umgeschlagen. Ein kalter Schauer peitschte über die Hügel, fuhr ihm ins Genick und schreckte ihn auf. Er sehnte sich nach einem warmen Ofen und nach frischem Wasser, um den Atem der Krankheit von sich zu waschen.
    Er dachte an die Mühen der vergangenen Tage und an die Dankbarkeit, die ihm in der letzten Familie entgegengeschlagen war, wo die Tochter nach der stärkenden Kur aus bitteren Pflanzensäften, Fleischbrühe und Buttermilch genas. Das war ihm Entschädigung genug.
    |101| Ein Gefühl von Stolz mischte sich in die bleischwere Müdigkeit. Die Schlacht war noch nicht vorbei, und doch hatte er den Beweis antreten können, dass wohlgewählte Waffen den Feind zu besiegen vermögen. Und diese Waffen wurden nicht mit dem auswendig gelernten Inhalt alter Bücher, nicht mit unkritischer Fortführung alter Traditionen geschmiedet, sondern mit der Erfahrung, die ihm tagtäglich neue Wege aufwies und die ihn lehrte, dass jede Arznei ihre Zeit hatte.
    Endlich erreichte Hahnemann Hettstedt. Der Ort lag in dunstigem Nebel, in den wenigsten Häusern brannte Licht. Der Gaul trabte über das nasse Steinpflaster, vorbei an armseligen Hütten, bis zu seinem Haus, das etwas abseits der Straße lag.
    Nachdem er das Pferd abgerieben und versorgt hatte, ging er hinein, in Erwartung einer heißen Suppe, die Agnes ihm zu kochen versprochen hatte. Doch stattdessen sah er Pfarrer Ebers am Küchentisch sitzen, einen kleinen Mann mit vorgewölbtem Bauch und eiserner Schläfenbrille, vor ihm eine leere Schüssel.
    »Ah, der Herr Doktor«, sagte er und stand auf, um ihm die Hand entgegenzustrecken. »Ihre Haushälterin war so freundlich, mich zu versorgen, während ich auf Ihre Rückkehr gewartet habe.« Er lächelte, doch die grauen, durch die Brillengläser ins Absurde vergrößerten Augen blickten ernst.
    Agnes beeilte sich, den Raum zu verlassen. Hahnemann zog zuerst seinen nassen Mantel aus, bevor er die Hand des Geistlichen schüttelte. Dann trat er zum Herd. Im Topf befand sich nur noch der Bodensatz der sehnsüchtig erwarteten Suppe. Er schnaubte verärgert, erinnerte sich aber rasch seiner Pflicht. »Gibt es einen Krankheitsfall?«, fragte er.
    »Nein.« Pfarrer Ebers reckte sich ein wenig in die Höhe und sah Hahnemann mit erhobener Braue an. »Ich habe Sie letzten Sonntag vermisst.«
    »Letzten Sonntag? Lassen Sie mich überlegen. Was kann

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