Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Er sah Ebeling aufgebracht an, hustete. Der Rauch nahm überhand, noch aber gehorchte sein Verstand. »Wir stehen kurz davor, die Ersten zu sein, das Übel zu bannen, und du sprichst davon, Hufeland auszuschalten? Elendiger Dummkopf! Du solltest besser an die Zukunft denken. Wenn du Hufeland etwas antust, wird sein Vater, immerhin Leibarzt des Herzogs, dafür sorgen, dass sich die oberste Regierungsbehörde in Weimar um eine Untersuchung bemüht. Du glaubst, nur weil die Belange der Universität einer eigenen Gerichtsbarkeit unterstehen und wir überdies den gemeinen Jenaer Polizeiknecht auf unserer Seite haben, bleibt das Geheime Consilium blind?«
»Niemand nennt mich ungestraft einen Dummkopf!« Ebeling sprang auf ihn zu und holte zum Schlag aus.
»Schluss jetzt.« Die Stimme des Superiors grollte durch den Raum, sein Blick war finster, als führte nun ein Dämon Regie. Er presste den mittleren Finger zum Daumen und zeigte mit starr ausgestrecktem Zeige- und Ringfinger auf Ebeling, der, plötzlich um Luft ringend, auf die Knie sank. Eine entsetzliche Macht schien den Raum zu erfüllen und nur darauf zu warten, den Anwesenden den letzten Atem zu nehmen. Mit einer weiteren Geste war alles vorbei. Der Superior fuhr fort, während sich Ebeling still und blass vom Boden erhob und an seinen Platz setzte.
»Um Albert werden wir uns kümmern. Es gibt Möglichkeiten, ihn suchen zu lassen, derer wir uns umgehend bedienen werden. Und was Hufeland betrifft …« Er wandte sich an Vogt. »Wir werden von nun an jeden seiner Schritte beobachten. Und sollte es nur den Anschein haben, dass er gewillt ist, den Eid zu brechen, wissen Sie, was zu tun ist.«
Damit schien die Sache für ihn besprochen. Mit einer unmerklichen Bewegung seiner rechten Hand verloschen die Fackeln, und der Raum versank in Finsternis. Die Vokation konnte beginnen.
Während die Burschen wenige Stunden später leise das dunkle Gewölbe über die Treppe nach oben verließen, spürte Vogt eine Hand auf seinem Arm, die ihn innehalten ließ.
|98| »Warum haben Sie Hufeland gehen lassen? Sie haben ihn nicht getötet, als er es ablehnte, der Verbindung beizutreten. Auch um Albert musste sich ein anderer kümmern. Das wäre Ihre Aufgabe gewesen.« Die Stimme war nur ein Wispern. »Sie wissen ebenso gut wie ich, dass ich das nicht durchgehen lassen kann.«
Vogt starrte in die Schwärze. Das Wispern drang durch sein Gehirn, fuhr in die kleinsten Windungen. »Nein«, flüsterte er, »das können Sie wohl nicht.«
»Sie mögen ihn, nicht wahr?«
»Es ist anders, als es scheint«, widersprach Vogt leise. »Aber unter all diesen von Ruhm besessenen Burschen bin ich wohl der Einzige, der in der Lage ist, vernünftig zu denken.«
»Hierin mögen Sie recht haben, vielleicht aber ist es nur Ausdruck Ihrer Zögerlichkeit. Treiben Sie es nicht zu weit.« Die Hand des Superiors legte sich schwer auf Vogts Schultern. »Wir stehen am Pulsschlag der Macht, ziehen an Strängen, an denen seit Johnssen niemand mehr gezogen hat. Dieses Mal aber dürfen wir uns keinen Fehler erlauben.«
Vogt schien es, als ströme durch die Hände des Oberen eine unbezwingbare Kraft, die ihn zu Boden zu reißen drohte. Doch er blieb fest und sah dem Vorsitzenden durch das Dunkel unverwandt in die Augen, ohne seine Seele freizugeben. »Sie können sich auf mich verlassen. Es wird keine Fehler geben.«
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HETTSTEDT
20. OKTOBER 1780
Die Ruhr war überstanden, doch das katarrhalische Faulfieber hatte eine bösartige Wendung genommen. Der Tod wütete in den Dörfern und raffte Schwache wie auch Kinder hinweg.
In den letzten Tagen hatte Hahnemann kaum geschlafen. Unermüdlich war er in die Häuser und Wohnungen der Erkrankten geeilt und hatte feststellen müssen, dass es nicht das Fieber und der Husten allein waren, die Verderbnis brachten.
Dort, wo sich vom langen Liegen talergroße Geschwüre in den Körper fraßen, legte er kleine Kissen aus Pferdehaaren unter Beine und Hüfte. Er fand die Kranken verwahrlost, ungeachtet seiner Mahnung zur Reinlichkeit, rieb ihre Leiber vorsorglich mit Talk und ungesalzener Butter ein, um den Widerstand der Haut gegen das Wundliegen zu erhöhen. Wo sie schwammig waren, kalt und wassersüchtig, gab er Tormentillawurzel, in rotem Wein gekocht, um die Fasern zu stärken. Mit der Zeit begann er zu experimentieren und fand heraus, dass Auszüge aus Galläpfeln und Eichenrinde ähnliche Wirkung zeigten.
Je länger es dauerte, bis die Krankheit nach der
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