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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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geworfen, um sie zu ertränken. Hufeland hatte sie ihr mit Schmeicheleien abgerungen und versprechen müssen, sie rasch zurückzugeben. Er hatte die Taube abgetrocknet und mit in seine Kammer genommen, wo der Elektrisierapparat für eine Gelegenheit wie diese bereitstand. Würde es ihm gelingen, das Tier mit Hilfe der Ströme wiederzubeleben?
    Von den ersten Bewegungen des leblosen Körpers ermutigt, fuhr Hufeland, auf Glas stehend und mit dem die Elektrizität leitenden Konduktor durch einen Metalldraht verbunden, fort, den kleinen Brustkorb mit den Funken zu reizen. Ein stechend scharfer Geruch breitete sich aus und bewies ihm die Entstehung des Phlogistons, von dem man glaubte, dass es bei der Verbrennung entwich.
    Der Apparat summte, die in Wachs getränkte hölzerne Scheibe rotierte, rieb sich am ledernen Kissen. Hufeland erhöhte die Umdrehung, bis sich Holzsplitter herauslösten. Dann setzte er weiter unterhalb der Taubenbrust an, was eine Peristaltik der Eingeweide hervorrief, die durch die dünne Bauchdecke gut zu beobachten war. Als er die Funken schließlich der Länge nach durch den Körper schickte, folgte das stärkste Zucken. Hufeland glaubte sich bereits am Ziel seiner Bemühungen, doch schon bald ließ der Effekt trotz fortgesetzter Stromstöße nach, bis die Taube schließlich regungslos dalag.
    Resigniert sank er in den Stuhl. Schweren Herzens musste er sich das Scheitern seines Experiments eingestehen, das so hoffnungsvoll begonnen hatte. Bernoulli waren Versuche dieser Art geglückt, und auch Abildgaard hatte ein Huhn mit Elektrizität wieder |126| zum Leben erweckt. Doch man musste wohl alle Umstände sorgfältig prüfen, damit nichts unbeachtet blieb, was eine Rolle für den Erfolg des Ganzen spielen mochte.
    Ob es der Taube genützt hätte, wenn man ihr vorher frisches Blut gegeben hätte, das Blut junger Täubchen?
    Dieser Gedanke war wie aus dem Nichts gekommen. Wütend auf sich selbst wollte Hufeland ihn sofort aus dem Gedächtnis tilgen, doch er blieb.
    Warum nur hatte er damals gefragt? Über Wochen hatte Hufeland den Abend verdrängt und versucht, sich wieder auf seine Studien zu konzentrieren. Es war misslungen.
    Er sprang auf und riss den Stuhl um, der polternd zu Boden fiel. Einen Eid zu schwören bedeutet, falls man sein Wort bricht, einen Fluch gegen sich selbst auszustoßen, dachte er, das hatte er gewusst. Und dennoch hatte er den Schwur geleistet.
    Doch so ging es nicht weiter. Er musste mit jemandem reden. Der einzige Mensch, dem er vertrauen konnte, war sein Schwager, Ernst Adolph Weber. Gestern schon hatte er ihn nach der Vorlesung abpassen wollen, doch man sagte ihm, der Theologieprofessor sei verreist und würde erst später zurückerwartet. Morgen also, morgen würde er seinen Rat suchen.
    Nun, da er sich entschlossen hatte, mit Weber zu sprechen, kam alles wieder hoch, die Angst, das schlechte Gewissen. Er dachte an den eigentümlichen Abend auf dem Friedhof, an dem sich Schrecken mit Vertrautheit verbunden hatte. Sollte er seinem Schwager erzählen, dass er froh gewesen war über den Schwur? Dass es ihn zunächst erleichterte, dass nun auch Vogt verboten war, über die Graböffnung, die Entweihung des heiligen Bodens zu sprechen? Nein, selbst wenn er wollte, er konnte es nicht. Der Schwur band ihn so fest, dass es ihm schier die Luft nahm.
    Erst viel zu spät hatte er erkannt, dass Vogt diesen Eid benutzte, um sich vor der Enthüllung einer Wahrheit zu schützen, die ihm selbst schaden konnte.
    Hufeland rieb sich die Stirn. Ludwig Gerstel war also ebenfalls Teil der geheimen Verbindung gewesen, die sich anschickte, der Lebenskraft |127| auf die Spur zu kommen. Ein Vorhaben, das ein ganzes Land, ja die ganze Menschheit zu bewegen schien. Was wurde nicht alles getan, um das Leben zu verlängern? Scharlatane gab es genug, und es kamen täglich mehr hinzu. Sie verkauften Goldtinkturen, Wunder- und Luftsalzessenzen, himmlische Betten und boten magnetische Zauberkräfte feil, mit denen sie den Lauf der Natur zu hemmen versprachen. Doch die Verbindung, der auch Vogt angehörte, begnügte sich nicht mit mystischen Kräften und Tinkturen. Sie bediente sich dort, wo sie die Quelle der Jugend vermutete: am jungen Körper selbst.
    Vogt war redselig geworden, der Eid hatte ihm die Zunge gelöst, vielleicht auch der süße Wein. Es schien, als wäre ihm jedes Mittel recht, jede Ausschmückung, jede Übertreibung, um Hufeland für die Verbindung zu begeistern. Und obwohl er ihn gebeten

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